Es ist kurz nach 11 Uhr Lokalzeit, als in der Menge der vor dem Criminal Court in London versammelten Aktivist:innen und Journalist:innen ein wahrer Aufschrei zu hören ist.
Wir versuchen, die Quelle des Schreis ausfindig zu machen und sind schon besorgt, dass möglicherweise etwas Dramatisches passiert ist. Aber dann wird schnell klar, es war ein Freudenschrei und sofort stimmen viele andere ein:
„Julian Assange is free!“
Abgelehnt hat das Gericht die Auslieferung aufgrund des körperlichen und psychischen Gesundheitszustands von Assange, der sich in den Monaten seiner Inhaftierung in der berüchtigten britischen Haftanstalt Belmarch akut verschlechtert hatte. Dem Urteil zufolge bestehe Suizid-Gefahr, sollte Assange in ein Hochsicherheitsgefängnis in den USA überführt werden.
Assange ist der lebendige Beweis für den Mut zur Suche nach der Wahrheit, und zwar der realen Wahrheit und nicht jener von Machthabern verschleierten, auch wenn sich diese gern als Demokraten maskieren. Er ist das Sinnbild jener Wahrheit, die geheim verübte Straftaten aufdeckt, welche von Machthabern nicht toleriert werden dürfen.
Für den Augenblick ist die größte Gefahr für Assange gebannt – die Gefahr der Auslieferung an das Land, dessen niederträchtige Verbrechen er aufgedeckt hatte. An das Land, in dem die öffentliche Meinung zum Schweigen gebracht wurde, mit Lügen, die den Menschen vorgaukeln, diese Verbrechen seien Teil des „Demokratieexports“ … was eine Auslieferung angeblich rechtfertigen würde.
Wie es weitergeht, ist noch unklar, aber für den Augenblick teilen wir die Emotionen und die Freude der vielen Menschen, die sich vor dem Gericht versammelt und das Urteil erwartet – aber auch gefürchtet – haben.
Auf einem Schild ist zu lesen: „Wer wird nach Assange der Nächste sein?“
Dieser Moment ist für uns ein Lichtblick der Hoffnung, aber der Kampf für die Wahrheit ist noch nicht gewonnen, ebenso wenig wie der Kampf um die Menschenrechte von Julian Assange. Die USA haben mittlerweile bereits angekündigt, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Wir möchten diesen Vormittag jedoch mit einem Satz von Assange abschließen, den er vor rund 10 Jahren, ebenfalls hier in London, ausgesprochen hat: „Ebenso wie Lügen Kriegen nützen, kann die Wahrheit dem Frieden dienen.“
In London haben wir heute einen Etappensieg erzielt, aber der Kampf ist noch lange nicht gewonnen.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Jeannette Carolin Corell vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!