Strategiezentrum der Bundesregierung plädiert für etwaige Unterstützung eines militärischen Überfalls auf Iran.

Die Bundesrepublik soll zur Wahrung deutscher Interessen unter Umständen „einen Militärschlag der USA und/oder Israels gegen Iran … unterstützen“. Dies fordert die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das wichtigste militärpolitische Strategiezentrum der Bundesregierung. Wie es in einem aktuellen BAKS-Papier heißt, könne dies „notwendige Konsequenz“ des deutschen Interesses sein, nukleare Aufrüstung in Mittelost zu verhindern. Hintergrund ist, dass Berlin sich Hoffnungen macht, gemeinsam mit der künftigen Biden-Administration das Atomabkommen mit Iran wieder in Kraft zu setzen und in Zusammenhang damit Teheran zur einseitigen Abrüstung seines Raketenprogramms zu zwingen. Allerdings ist unklar, ob dies gelingt: Teheran hat kürzlich – aus Protest gegen den Mord an einem iranischen Atomexperten – die Anreicherung seines Urans deutlich über die vorgesehene Grenze erhöht. Hintergrund des Konflikts ist ein Machtkampf um die regionale Hegemonie in Mittelost, in dem die westlichen Mächte Iran einzudämmen suchen und dessen Gegner Saudi-Arabien stützen.

Hegemonialkonflikt am Golf

Kern der erbitterten Machtkämpfe im Nahen und Mittleren Osten ist, wie es in einem aktuellen „Arbeitspapier“ der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) heißt, der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran – „die zentrale machtpolitische Auseinandersetzung“ der Region.[1] Ursache ist, dass beide Staaten einen Hegemonialanspruch am Persischen Golf erheben; Iran kann sich dabei nicht nur auf eine im regionalen Vergleich altgewachsene industrielle Grundstruktur, sondern auch auf eine zahlenstarke, relativ gut ausgebildete Bevölkerung stützen. Machtpolitisch profitiert Teheran zudem von der westlichen Gewaltpolitik der vergangenen beiden Jahrzehnte. So ist sein traditioneller Rivale Irak im Jahr 2003 nicht nur von den USA machtpolitisch ausgeschaltet worden; die schiitische Bevölkerungsmehrheit in dem Land stellt seither zudem sicher, dass Iran über wachsenden Einfluss in Bagdad verfügt. In Syrien hat der Westen mit dem Versuch, die Regierung von Präsident Bashar al Assad zu stürzen, diese zunehmend an die Seite nicht nur Moskaus, sondern auch Teherans getrieben und proiranischen Milizen Türen geöffnet. Im Jemen haben sich die Houthi-Milizen, seit Saudi-Arabien 2015 den Krieg gegen sie begann, ebenfalls immer mehr Iran angenähert. Von der gescheiterten Politik seiner Feinde profitiert Teheran.

Architekten des Atomabkommens

Aktuell ist in der Iranpolitik des Westens und seiner Verbündeten eine doppelte Entwicklung zu verzeichnen. Zum einen lässt der künftige US-Präsident Joe Biden die Absicht erkennen, sich von der gescheiterten Politik „maximalen Drucks“, wie sie die Trump-Administration verfolgt hatte, zu distanzieren und ein neues Abkommen mit Teheran anzustreben. Der künftige US-Außenminister Antony Blinken gilt als einer der Architekten des Atomabkommens mit Teheran und hat dessen Bruch durch den scheidenden US-Präsidenten mehrfach heftig kritisiert. Der designierte CIA-Chef William Burns hatte bereits 2008 erste, damals noch geheime Gesprächskontakte nach Teheran aufgebaut und ab 2013 dann einen ebenfalls zunächst geheimen Verhandlungskanal installiert, dies gemeinsam mit Jake Sullivan, der künftig den Nationalen Sicherheitsrat leiten wird.[2] Freilich werde die Biden-Administration nicht einfach das Atomabkommen von 2015 wieder aktivieren wollen, heißt es in dem BAKS-Arbeitspapier: Iran habe seine Stellung in den vergangenen Jahren ungeachtet der US-Sanktionen punktuell stärken können; so habe das Land erfolgreich nicht nur sein Raketenprogramm vorangetrieben, sondern auch die Position mit ihm verbündeter Milizen in mehreren Ländern der Region – vom Irak über den Libanon bis zum Jemen – ebenfalls erfolgreich unterstützt. In künftigen Verhandlungen solle Iran seine Einflussgewinne wieder preisgeben.

Schulterschluss gegen Teheran

Zum anderen ist es den regionalen Gegnern Irans in den vergangenen Wochen und Monaten gelungen, sich enger denn je zuvor zusammenzuschließen. So hat nicht nur der Gulf Cooperation Council (GCC), der Zusammenschluss Saudi-Arabiens mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar, Bahrain, Kuwait und Oman, mit der jüngst verkündeten Beendigung der Blockade Qatars durch Riad und Abu Dhabi wieder die Fähigkeit zu abgestimmtem Handeln erlangt. Insbesondere aber trägt die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel auf der einen, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain auf der anderen Seite dazu bei, die Reihen im Nahen und Mittleren Osten gegen Teheran zu schließen. Saudi-Arabien hat zwar seine Beziehungen zu Israel noch nicht formell normalisiert; informell steuert es allerdings längst darauf zu.[3] Wie Guido Steinberg, Autor des BAKS-Arbeitspapiers sowie Mittelostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), urteilt, sei Israel für die Golfstaaten nicht zuletzt deshalb „attraktiv“, weil es „mit Aktionen wie der gezielten Tötung von General Mohsen Fakhrizadeh“, der „Schlüsselfigur im iranischen Atomprogramm“, im November 2020 gezeigt habe, „dass es bereit und in der Lage ist, alles seine Ressourcen zu mobilisieren“, um die „atomare Bewaffnung Irans zu verhindern“.[4]

„Das letzte Zeitfenster“

Außenminister Heiko Maas dringt seit Joe Bidens Wahlsieg verstärkt darauf, das Atomabkommen mit Iran wieder regulär umzusetzen. „Die Chance, die sich jetzt bietet“, sei das „letzte Zeitfenster“, erklärte der Minister im Dezember; es dürfe „nicht verspielt werden“.[5] Freilich hat der Mord an Fakhrizadeh die Aussichten verschlechtert; Teheran hat in Reaktion darauf, dass Irans Bürger faktisch als folgenlos exekutierbares Freiwild behandelt werden, begonnen, die Anreicherung des Urans in seinen Anlagen teilweise auf 20 Prozent anzuheben.[6] Hinzu kommt, dass Iran nicht davon ausgehen kann, dass eine erneute Einigung auf das Atomabkommen nach der nächsten US-Wahl im Jahr 2024 Bestand haben wird; widerspräche dies den Launen des Wahlsiegers, könnte er die Vereinbarung – wie Trump – ohne weiteres erneut brechen. Damit werde es „noch schwieriger“, Teheran zu veranlassen, „substantielle Zugeständnisse zu machen“, urteilt die BAKS.[7]

Deutsche Interessen

In dieser Situation dringt die BAKS nicht nur darauf, Berlin solle sich bei etwaigen Verhandlungen in Sachen Atomabkommen umstandslos „hinter die Regierung Biden stellen“.[8] Sie fordert zudem, die Bundesregierung solle sich auch „auf die wahrscheinlicheren Szenarien vorbereiten, in denen es zu keiner oder keiner baldigen Verhandlungslösung kommt“. In diesem Fall gelte es „eine Strategie der langfristigen Eindämmung Irans [zu] entwickeln, die nur funktionieren kann, wenn die USA, ihre europäischen Verbündeten und die prowestlichen Regionalstaaten eng zusammenarbeiten“. Zur Zusammenarbeit aber gehörten auch die „oft kritisierten Waffenlieferungen an problematische Staaten wie Saudi-Arabien oder die VAE“. Eine Einstellung dieser Lieferungen hatten erst kürzlich SWP-Experten gefordert (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Darüber hinaus heißt es bei der BAKS, zentrales „Interesse der Bundesrepublik“ müsse es sein, die atomare Bewaffung der Staaten des Mittleren Ostens zu verhindern. „Notwendige Konsequenz dieser Interessendefinition“ könne es „im Extremfall sein, auch einen Militärschlag der USA und/oder Israels gegen Iran zu unterstützen“.[10] Iran wäre dann das vierte Land innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten, das der Westen entweder per Krieg (Irak, Libyen) oder per militärischer Subversion (Syrien) zerstört.

 

[1] Guido Steinberg: Kalter Krieg im Nahen Osten. Der iranisch-saudische Konflikt dominiert die Region. BAKS-Arbeitspapier 1/21. Berlin, Januar 2021.

[2] Majid Sattar: Diplomatische Geheimwaffe. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.01.2021.

[3] Gudrun Harrer: Saudis rechnen mit dem toten Arafat ab. derstandard.de 15.10.2020.

[4] Guido Steinberg: Kalter Krieg im Nahen Osten. Der iranisch-saudische Konflikt dominiert die Region. BAKS-Arbeitspapier 1/21. Berlin, Januar 2021.

[5] Maas sieht „letztes Zeitfenster“ für Atomabkommen mit Iran. dw.com 21.12.2020. S. auch Die nächste Runde im Atomstreit mit Iran.

[6] Iran reichert Uran höher an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.01.2021.

[7], [8] Guido Steinberg: Kalter Krieg im Nahen Osten. Der iranisch-saudische Konflikt dominiert die Region. BAKS-Arbeitspapier 1/21. Berlin, Januar 2021.

[9] S. dazu Die Militarisierung der arabischen Außenpolitik.

[10] S. dazu Guido Steinberg: Kalter Krieg im Nahen Osten. Der iranisch-saudische Konflikt dominiert die Region. BAKS-Arbeitspapier 1/21. Berlin, Januar 2021.

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