In der vergangenen Woche trat der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft, welcher nicht nur nukleare Massenvernichtungswaffen völkerrechtlich verbietet, sondern insbesondere die humanitären und ökologischen Folgen dieser Waffen in den Mittelpunkt der Debatte rückt.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat in der Vergangenheit auch einen humanitären Fokus beim Thema der nuklearen Abrüstung vertreten und zur feministischen Debatte über Militarisierung beigetragen. Wir kritisieren daher umso mehr das Mitwirken von Frau Dr. Ellen Ueberschär, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, an der Veröffentlichung “Transatlantisch? Traut euch!” sowie die Heinrich-Böll-Stiftung als Veranstalterin der dazugehörigen Veranstaltung am 20.01.2021.
In dieser Veröffentlichung ist im Unterkapitel “NATO: Mehr Verantwortung wagen” davon die Rede, dass Deutschland eine führende Rolle in der “konventionellen Verteidigungsfähigkeit” der NATO einnehmen soll. Es wird dazu aufgefordert an der nuklearen Teilhabe Deutschlands festzuhalten und nukleare “Modernisierungsschritte umzusetzen”. Atomare Abrüstung als Zielsetzung wird nicht einmal erwähnt. An der nuklearen Teilhabe festzuhalten bedeutet an einem sicherheitspolitischen Verständnis festzuhalten, das auf der gegenseitigen Androhung von Massenvernichtung durch Atomwaffen aufbaut. Es bedeutet auch die katastrophalen humanitären und ökologischen Folgen von Atomwaffenproduktion, Atomwaffentests und den vergangenen und potenziellen Einsätzen von Atomwaffen zu ignorieren. Dies steht unserer Meinung nach im Widerspruch zu bisherigen inhaltlichen Auseinandersetzungen der Heinrich-Böll-Stiftung.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat das Potential als Institution auch weiterhin die Perspektive eines menschlichen und darauf aufbauenden feministischen Verständnisses von Sicherheit in sicherheitspolitische Debatten einzubringen. Die Stiftung wird ihrer Rolle als potenzielle progressive Impulsgeberin nicht gerecht, indem sie konservativen und militaristischen sicherheitspolitischen Forderungen Raum gibt. Die offiziellen sicherheitspolitischen Themenschwerpunkte der Heinrich-Böll-Stiftung “Feministische Außenpolitik” und “Nukleare Rüstungskontrolle” sind in dieser Veröffentlichung nicht zu finden – im Gegenteil.
Ein intersektional-feministischer Blick auf Atomwaffen fordert unter anderem die Perspektiven von Betroffenen und Überlebenden von Atomwaffeneinsätzen weltweit in den Fokus der Debatte zu rücken. Dies betrifft insbesondere mehrfach marginalisierte Gruppen, beispielsweise indigene Gruppen pazifischer Inselstaaten, welche bis heute mit den gesundheitlichen und ökologischen Folgen von Atomwaffentests konfrontiert sind. Die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Atomwaffen müssen ebenfalls berücksichtigt werden, so sind Menschen mit Eierstöcken und Gebärmutter von einem höheren Risiko von Langzeitfolgen betroffen. Eine intersektional-feministische Analyse kritisiert, dass Atomwaffen im Wesentlichen Ausdruck patriarchaler Machtdemonstration sind. Die Existenz von Atomwaffen kann durch nichts legitimiert werden und konsequente Abrüstung ist für global nachhaltigen Frieden und Sicherheit notwendig.
Die in der Veröffentlichung “Transatlantisch? Traut euch!” hervorgebrachte Position widerspricht der im neuen Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen festgelegten Forderung von einem “zügigen Ende der nuklearen Teilhabe” sowie dem Bekenntnis zu weiterer Abrüstung auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.
Wir haben kein Verständnis dafür, dass Frau Dr. Ellen Ueberschär als Vorstand der parteinahen Stiftung der Grünen die besagte Veröffentlichung mitträgt und die Stiftung selbst die Veröffentlichungsveranstaltung sogar organisierte.
Wir fordern Deutschlands Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag, den Abzug von US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland und die sofortige Beendigung der nuklearen Teilhabe. Deutschland kann damit eine Vorbildfunktion einnehmen und sollte nicht weiter am Konstrukt von nuklearer Abschreckung festhalten.
Wir hoffen, dass sich Frau Dr. Ellen Ueberschär und die Heinrich-Böll-Stiftung ihrer Verantwortung bewusst sind und in Zukunft wieder vermehrt konstruktive Impulse für menschliche und feministische Sicherheitskonzepte beim Themenkomplex Atomwaffen und nukleare Abrüstung setzen – gerne auch in gemeinsamen Projekten.