„Das Wort ‚aufgeben‘ existiert in meinem Wortschatz nicht. Ich habe bei meiner Mutter gelernt: ‚immer zu kämpfen'“, bekräftigte der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Mittwoch, den 10. März, im Hauptbüro der Metallarbeitergewerkschaft ABC in São Bernardo do Campo in der Metropolregion São Paulo.
Seine Ansprache erfolgte nach der Annullierung der Urteile gegen ihn im Rahmen der Operation „Waschanlage“ durch das 13. Bundesgericht von Curitiba im Bundesstaat Paraná. Die Entscheidung, die am Montag, den 8. März fiel, ist von Minister Edson Fachin des Obersten Bundesgerichts veröffentlicht worden.
Die Bevölkerung brachte ihre Unterstützung für den Ex-Präsidenten in den sozialen Medien zum Ausdruck und indem sie in Städten wie São Paulo Lula aus ihren Fenstern begrüßten.
Mit der Aufhebung der Verurteilungen erhält Lula seine politischen Rechte zurück und kann bei den kommenden Präsidentschaftswahlen, die voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2022 stattfinden werden, für ein öffentliches Amt kandidieren.
Allerdings hat Lula in seiner Rede nicht bestätigt, dass er Präsidentschaftskandidat sein wird. „Jetzt muss die PT [die Arbeiterpartei Brasiliens] ihre Führer durch das Land schicken, um mit den Menschen über die Wirtschaft, Impfstoffe, Nothilfe, die Beschäftigungsfrage zu diskutieren. Im Moment habe ich nicht einmal Zeit, über die Kandidatur 2022 nachzudenken“, sagte er.
Lula bekräftigte, dass er „Opfer einer großen Justiz-Lüge“ war, die ihn 2018 aus dem Präsidentschaftsrennen nahm und für 580 Tage ins Gefängnis brachte. Der ehemalige Präsident erinnerte auch an seine ehemalige Lebensgefährtin Marisa Letícia, die am 3. Februar 2017 starb. „Sie starb an den Folgen des Drucks, der Schlaganfall kam früh. Mir wurde sogar verboten, meinen Bruder zu besuchen, als er in einem Sarg lag. Wenn es also einen Brasilianer gibt, der Grund hat, viel und tiefen Groll zu hegen, dann bin ich das. Aber das tue ich nicht. Aufrichtig, das tue ich nicht. Denn das Leid, mit dem das brasilianische Volk im Moment konfrontiert ist, was die armen Menschen in diesem Land durchmachen, ist unendlich viel schlimmer als jedes Verbrechen, das sie gegen mich begangen haben.“
In Bezug auf die Operation „Waschanlage“, in der Lula wegen angeblicher Korruptionsverbrechen verurteilt wurde, kritisierte Lula den damals verantwortlichen Richter Sérgio Moro, der später Justizminister von Jair Bolsonaro wurde.
„Wir werden weiter dafür kämpfen, dass Moro als Verdächtiger gesehen wird. Er hat nicht das Recht, der größte Lügner in der Geschichte Brasiliens zu werden und dann ein Held zu sein. Ich bin mir sicher, dass er heute wahrscheinlich noch mehr leidet, als ich gelitten habe“, betonte der Ex-Präsident, der den Medien vorwarf, mit der Operation
2Waschanlage“ eine „Vereinbarung“ getroffen zu haben.
Kritik an der Regierung Bolsonaro
Lula kritisierte die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro: „Ich muss mit Ihnen über die Situation in diesem Land sprechen. Es wäre ein Fehler meinerseits, zu verschweigen, dass Brasilien diese Situation nicht hätte durchmachen müssen. Viele Menschen leiden. Deshalb möchte ich meine Solidarität mit den Opfern des Coronavirus und dem medizinischen Personal zum Ausdruck bringen. Und vor allem mit den Helden von SUS (nationales brasilianisches Gesundheitssystem), die sogar politisch diskreditiert wurden. Wenn SUS nicht gewesen wäre, hätten wir noch viel mehr Menschen durch das Coronavirus verloren.“
Der Ex-Präsident rief die Brasilianerinnen und Brasilianer auf, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen: „Folgen Sie nicht irgendeiner schwachsinnigen Entscheidung des Präsidenten der Republik oder des Gesundheitsministers. Lassen Sie sich impfen.“
Er fügte seiner scharfen Kritik an Bolsonaros Regierung hinzu: „Dieses Land hat keine Regierung, sie kümmert sich nicht um die Wirtschaft, die Beschäftigung, das Gehalt, die Gesundheit, die Umwelt, die Bildung und sie kümmert sich nicht um die Jugend in den Randgebieten der Städte. Worum also kümmern sie sich?“
Internationaler Dank
In einem Teil seiner Ansprache bedankte sich Lula für die Unterstützung, die er in der Zeit erhielt, als er vor Gericht gestellt und in der Bundespolizei in Curitiba, Paraná, inhaftiert war. „Das Gefängnis war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich kenne niemanden in der Geschichte, der so viel Unterstützung erhielt. Ich muss mich bei der Gewerkschaftsbewegung und der Bewegung der Landarbeiter bedanken“, betonte der Ex-Präsident und erinnerte sich an die „Free Lula“-Mahnwache vor der Polizeistation während der 580 Tage seiner Haftzeit.
Argentinien galt die besondere Aufmerksamkeit von Lula. „Ich kann nicht vergessen, Präsident Alberto Fernández zu danken, der den Anstand hatte, sich gegen die extreme Rechte zu stellen, und den Mut, mich auf der Bundespolizeistation in Curitiba zu besuchen. Ich sagte ihm sogar, er solle kein Interview geben, damit er nicht leiden müsse. Er sagte mir: ‚Lula, ich habe kein Problem damit, was die Rechten sagen werden, ich bin hierhergekommen, um mich mit dir zu solidarisieren, weil du unter der schlimmsten politischen Ungerechtigkeit leidest, die es in Lateinamerika gibt.“
Lula bedankte sich auch bei einem weiteren Argentinier: „Ich bedanke mich auch bei unserem lieben Papst Francisco. Er schickte jemanden zu mir nach Curitiba mit einem Brief, den die Bundespolizei nicht einreisen ließ, erst später erhielt ich den Brief vom Papst. Außerdem gab der Papst bei mehreren Gelegenheiten Erklärungen ab.“
Auch andere politische Führer wurden erwähnt, wie der ehemalige Präsident von Uruguay Pepe Mujica, der US-Senator Bernie Sanders und die Bürgermeisterin von Paris, Ana Hidalgo.
Während er Fragen beantwortete, dankte er auch dem kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel und dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro für ihre Solidarität. Er kritisierte auch die Vereinigten Staaten bzgl. der Einmischung in die Souveränität dieser Länder: „Ich denke, dass die Amerikaner sich nicht in Venezuela, Haiti, der Dominikanischen Republik, in Brasilien, in Kuba einmischen sollten. Die Amerikaner sollten sich nur um ihr Land sorgen und es jedem überlassen, sich um sein eigenes Land zu kümmern. Die Frage der Demokratie in Venezuela ist eine Angelegenheit des venezolanischen Volkes.“
Von Geisa Marques, Leandro Melito e Igor Carvalho und die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!