Berlin dringt auf Kurskorrekturen in der EU-Russlandpolitik und zielt auf Kooperation bei der Nutzung von Wasserstoff als Energieträger.
Berlin dringt vor dem EU-Gipfel in der kommenden Woche auf Kurskorrekturen in der Russlandpolitik. Dies geht aus einem Bericht über ein internes Treffen in Brüssel und aus einem in der EU zirkulierenden „non-paper“ aus Deutschland hervor. Demnach verlangte der deutsche EU-Botschafter in Russland, Markus Ederer, vergangene Woche bei einer Zusammenkunft mit mehreren Spitzenvertretern des Europäischen Auswärtigen Diensts eine engere Kooperation mit Moskau in ausgewählten Bereichen. Bereits zuvor hatte ein in der Union in Umlauf gebrachtes deutsches Papier ungeachtet der fortbestehenden EU-Sanktionen für mehr Zusammenarbeit in der Klimapolitik geworben – vor allem bei der Nutzung von Wasserstoff als Energieträger. Während der deutsche Bedarf an Wasserstoffimporten in den nächsten Jahren stark wachsen wird, besitzt Russland erhebliche Potenziale zur Herstellung des Elements aus Gas wie auch mit Hilfe von Windenergie. Erste Projekte sind in Arbeit; Berlin unterstützt die Pläne. Dabei gilt die Pipeline Nord Stream 2 als in Zukunft nützlicher Wasserstoffimportkanal.
Berlin macht Druck
Für Kurskorrekturen in der Russlandpolitik hat sich am Montag vergangener Woche der EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer, ausgesprochen. Ederer, der im Lauf seiner Karriere unter anderem als Leiter des Planungsstabs (2005 bis 2010) sowie als Staatssekretär (2014 bis 2017) im Auswärtigen Amt gearbeitet hat, hat mit seinem im Oktober 2017 angetretenen Moskauer Posten schon die zweite bedeutende Funktion in der EU-Diplomatie nach seiner Tätigkeit als Botschafter der Union in China (Januar 2011 bis Januar 2014) inne; er kann in Berlin wie in Brüssel als diplomatisches Schwergewicht gelten. Bei einer Zusammenkunft mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, dem Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Diensts, Stefano Sannino, dessen Stellvertreter Pedro Serrano sowie dem Leiter der Russlandabteilung, Luc Pierre Devigne, setzte sich Ederer am Montag, wie berichtet wird, für mehr Kooperation mit Moskau ein: Es gelte sich aus der Fixierung auf den Ukraine-Konflikt zu lösen, wird der Diplomat zitiert.[1] Am Mittwoch hätten sich dann, heißt es weiter, auf dem Treffen der EU-Botschafter mehrere Staaten ähnlich geäußert; Italien etwa habe eine engere Wirtschaftskooperation vorgeschlagen. Einige Staaten Osteuropas hingegen hätten auf der Verschärfung der Aggressionskurses beharrt.
„Schwierig, aber unverzichtbar“
Bereits zuvor war ein Papier mit ähnlicher Stoßrichtung bekanntgeworden, das Berlin in Brüssel in Umlauf gebracht hatte, wobei es offiziell als nicht unterzeichnetes und nicht formal zuzuordnendes „non-paper“ firmiert – eine übliche Methode, Debatten anzustoßen, ohne sich offiziell festzulegen. Das „non-paper“ sieht zwar eine enge transatlantische Abstimmung gegenüber Russland vor und beinhaltet keine Abkehr von den jüngsten Sanktionen und anderen Aggressionen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Es plädiert aber dafür, in bestimmten Bereichen die Kooperation zu suchen und damit die Eskalationsspirale, in die die Beziehungen zu Moskau aktuell zu geraten drohen, zumindest zu bremsen. Als Motiv wird genannt, dass Russland in mehreren Weltregionen, etwa in Nordafrika sowie im Nahen und Mittleren Osten, eine zwar „oft schwierige“, aber doch „unverzichtbare“ Rolle spielt, weshalb die EU nicht umhinkomme, in gewissem Maß mit ihm zu kooperieren, wolle sie selbst dort Einfluss nehmen.[3] Die Union solle deshalb auf bestimmten Feldern die Zusammenarbeit mit Russland suchen, so zum Beispiel in der Klimapolitik. In diesem Zusammenhang nennt das deutsche „non-paper“ ausdrücklich eine intensivere Kooperation etwa in Sachen Wasserstoff.
Folgen der Energiewende
Hintergrund ist auf deutscher Seite der wegen der Energiewende absehbar steigende Bedarf an Wasserstoff als Energieträger. Allein bis 2030 sagt die Bundesregierung einen Wasserstoffbedarf von 90 bis 110 TWh voraus. Davon werde der überwiegende Teil importiert werden müssen, heißt es in der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ der Regierung vom Juni 2020.[4] Dabei hatte Berlin zunächst vor allem sonnen- und windreiche Gebiete in Nordafrika als Produktionsstätten „grünen“ Wasserstoffs im Visier, der dann per Tanker antransportiert werden soll; ein Abkommen mit Marokko vom 29. November 2019 sieht unter anderem eine solche Kooperation vor.[5] Russland wiederum nimmt seit vergangenem Jahr ebenfalls neue Wasserstoffaktivitäten in den Blick. Grund dafür ist, dass die Energiewende in der EU zu einem nach 2030 perspektivisch klar sinkenden Bedarf an Erdöl und Erdgas führen und damit Russlands wichtigste Exporte stark reduzieren wird. Als Alternative bewirbt Russlands neue Energiestrategie aus dem Jahr 2020 den Einstieg in die Produktion „blauen“ und „türkisen“ Wasserstoffs aus Erdgas; zudem ist „grüner“ Wasserstoff aus Windenergie im Gespräch. Ab spätestens 2035 werde man zwei Millionen Tonnen Wasserstoff im Jahr exportieren können, spekulieren Wirtschaftskreise.[6]
„Zukunftstechnologie Wasserstoff“
Mittlerweile sind konkrete Projekte gestartet worden. Auf russischer Seite wollen unter anderem Gazprom und der größte private Energiekonzern des Landes, Novatek, in die Produktion von Wasserstoff einsteigen. Gazprom hat dazu beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben [7], während Novatek mit Siemens kooperieren will; die beiden Konzerne, die schon jetzt bei Novatek-Flüssiggasprojekten in der russischen Arktis eng zusammenarbeiten, haben im Dezember 2020 eine Übereinkunft unterschrieben, die auch ein Vorhaben zur Umstellung von Flüssiggas auf Wasserstoff umfasst [8]. Auf deutscher Seite wirbt neben dem Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft mittlerweile auch die Bundesregierung für „Zusammenarbeit in Forschung und Industrie“ bezüglich der „Zukunftstechnologie Wasserstoff“, wie es kürzlich der Regierungskoordinator für zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Johann Saathoff, formulierte. Saathoff, der zugleich als energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion fungiert, kündigte an, Berlin werde im Rahmen des im November gestarteten Deutsch-Russischen Themenjahres „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020-2022“ „eine neue Struktur schaffen, die den Dialog … zum Thema Wasserstoff beleben wird“.[9]
Nord Stream 2
Saathoff wies nicht nur darauf hin, dass Russland neben seinen Erdgasvorräten auch exzellente Voraussetzungen für die Nutzung von Windenergie aufweist: „Die rechnerische Kapazität für die Onshore-Windkraft liegt bei mindestens dem Tausendfachen der heute in Deutschland installierten Windenergie“.[10] Der Berliner Regierungskoordinator erinnerte auch daran, dass – anders als im Falle Marokkos – „schon heute die Transport-Infrastruktur“ zur Lieferung des Wasserstoffs nach Deutschland existiert: „Die Pipelines, durch die heute Öl und Gas zu uns strömen, können auf Wasserstoff umgestellt werden.“ Die deutsch-russischen Pläne zur Wasserstoffkooperation gehen entsprechend mit dem Beharren der Bundesregierung auf dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 einher. Jüngst hat etwa der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Miguel Berger auf dem virtuellen Jahresauftakt des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft bekräftigt: „Wir haben kein Interesse daran, dass dieses Projekt [Nord Stream 2] zu einer Investitionsruine wird“.[11] Zwar sei man bereit, mit der Biden-Administration über gewisse Zugeständnisse zu verhandeln; klar sei jedoch: „Am Ende dieses Dialogs muss die Finalisierung der Pipeline stehen.“ Entsprechend hatte sich zuvor auch Außenminister Heiko Maas festgelegt.[12]
[1] Alberto Nardelli: EU Officials Plot Lighter Touch on Russia But It’s a Tough Sell. bloomberg.com 13.03.2021.
[2] S. dazu In der Eskalationsspirale.
[3] Michael Peel: Germany urges new outreach to Moscow on climate change. ft.com 07.03.2021.
[4] Die Nationale Wasserstoffstrategie. Berlin, Juni 2020.
[5] S. dazu Die Geoökonomie des Wasserstoffs.
[6] Hans-Jürgen Wittmann: Russland möchte bis 2035 Weltmarktführer bei Wasserstoff werden. gtai.de 25.12.2020. S. auch Die Geopolitik des European Green Deal (II).
[7] Hans-Jürgen Wittmann: Russland entwickelt eigene Wasserstofftechnologien. gtai.de 01.07.2020.
[8] Lydia Woellwarth: Novatek and Siemens Energy sign agreement. lngindustry.com 11.12.2021.
[9], [10] Johann Saathoff: Die Bundesrepublik sollte ihre Kooperation mit Russland und seinen Nachbarn ausbauen. handelsblatt.com 08.02.2021.
[11] Virtueller Jahresauftakt mit Bundespräsident Steinmeier und 350 Gästen. ost-ausschuss.de 26.02.2021.
[12] S. dazu Transatlantische Sanktionen (III).