Esdras Álvarez hat bereits ihren zweiten Anlauf hinter sich. Zunächst wollte die 24jährige Honduranerin über die mexikanische Stadt Reynosa in die Vereinigten Staaten einreisen, doch US-Migrationsbeamte wiesen sie sofort wieder zurück. Als sie dann am Freitag, den 12. März die Grenzbrücke „Paso del Norte“ in Ciudad Juárez passieren wollte, wurde sie ebenfalls aufgehalten. Sie müsse warten, bis die Washingtoner Regierung die Sicherheitsregeln aufgehoben habe, die der ehemalige Präsident Donald Trump wegen der Corona-Pandemie verfügt hatte, hieß es.
So wie Álvarez hängen derzeit in Ciudad Juárez, Tijuana, Reynosa und anderen Grenzstädten Tausende Migrant*innen fest, die sich nach der Wahl des Präsidenten Joe Biden aus Mittelamerika und dem Süden Mexikos auf den Weg in die USA aufgemacht haben. Wer es illegal auf die andere Seite schafft und entdeckt wird, wird sofort wieder abgeschoben. Im Februar nahm die US-Grenzpolizei 100.441 Menschen fest, 28 Prozent mehr als im Monat zuvor. Im März sind es täglich etwa 4000. Auch die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen hat massiv zugenommen.
USA und Mexiko halten an harter Linie fest
Die Wahl Bidens hatte die Hoffnung geschürt, dass der beschwerliche Weg über den Rio Bravo einfacher zu überwinden sei als zu Trumps Zeiten. Der Demokrat kündigte Lockerungen in der Einwanderungspolitik an und hob eine Maßnahme seines Vorgängers auf, nach der alle Asylsuchenden nach Mexiko zurückgeschickt werden und dort warten müssen, bis über ihren Antrag entschieden wurde. Doch von den 25.000 Schutzsuchenden, die deshalb seit vielen Monaten in den gefährlichen Städten des mexikanischen Nordens ausharren, konnten bislang nur etwa 2100 die Grenze überqueren. Wie Esdras Álvarez scheitern zudem die meisten neu Angereisten an den Corona-Maßnahmen, die auch unter Biden Gültigkeit haben.
Das führt in den mexikanischen Grenzstädten zu erheblichen Problemen: „Die Herbergen sind überfüllt und es kommen immer mehr Leute“, erklärt Enrique Valenzuela von der Behörde Conapo, die das Netz von Migrant*innen-Aufnahmestellen im Bundesstaat Chihuahua koordiniert. Pfarrer Juan Fierro García von der Herberge „El Buen Samaritano“ in Ciudad Juárez rechnet damit, dass sich die Lage so verschärfen könnte wie 2019, als viele Migrant*innen in Karawanen an die Grenze zogen. „Die Menschen kommen, einer nach dem anderen, und da sie nicht weiterreisen können, werden sich alle hier an Grenze niederlassen“, erklärt er. Durch die Pandemie sei man nun besonders gefordert, um die Reisenden zu schützen.
Bewohner*innen eines Zeltlagers protestieren
Angesichts der unklaren Asylpolitik haben in Tijuana am 17. März Bewohner*innen eines Zeltlagers protestiert. „Wir gehen in keine Herberge, bis Klarheit darüber herrscht ,wann uns die Einreise in die USA gewährt wird,“ erklärten die Sprecher von 1500 Asylsuchenden aus Mittelamerika, Haiti, Kuba und afrikanischen Staaten. Zugleich kritisierten sie, dass sie weder sanitäre Anlagen noch polizeilichen Schutz hätten.
Die mexikanische Regierung des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador bleibt indes der Linie treu, die sie bereits zu Trumps Zeiten eingenommen hat: Sie sorgt dafür, dass die Migration eingedämmt wird. Darauf setzt Biden genauso wie Trump. Bei einem Videogespräch zwischen den beiden Staatschefs soll der US-Präsident nach Informationen der New York Times seinen mexikanischen Kollegen gebeten haben, mehr zu unternehmen, um die Migration zu stoppen. Demnach erörterten die beiden zugleich die Möglichkeit, das Washington dem südlichen Nachbarn Impfstoffe gegen das Coronavirus zur Verfügung stellen könnte. Am 18. März wurde nun bekannt, dass Mexiko von den USA 2,5 Millionen Dosen AstraZeneca erhalten soll.
Impfstoff als Belohnung für Migrationseindämmung?
Vertreter*innen beider Staaten negieren zwar, dass ein Deal „Impfstoff gegen Migrationseindämmung“ stattgefunden habe, aber das darf bezweifelt werden. Jen Psaki, der Pressechef des Weißen Hauses, erklärte, die Gespräche über Impfungen und über die Grenzsicherung „stehen nicht in Beziehung zu einander, aber sie überlappen sich“. De facto stehen derzeit 7770 Nationalgardisten an der Südgrenze zu Guatemala, um die Reisenden aus Mittelamerika auf ihrem Weg zu stoppen. Nach Angaben der mexikanischen Migrationsbehörde wurden am Freitag, 19. März, weitere Kräfte in die südliche Grenzregion mobilisiert, um Reisepapiere zu prüfen und Gesundheitschecks durchzuführen. Damit wolle man insbesondere minderjährige Migrierende schützen. Seit Beginn des Jahres seien über 4000 Jugendliche und Kinder illegal nach Mexiko eingereist.
Auch mit Blick auf die Rückführungen übernehmen die mexikanischen Behörden die Arbeit ihrer US-Kolleg*innen. Nach Angaben der honduranischen Migrationsbehörde wurden seit Anfang des Jahres 9974 Menschen in ihre mittelamerikanische Heimat abgeschoben, 8305 von ihnen aus Mexiko.
Das könnte auch der Honduranerin Esdras Álvarez drohen. „Ich habe meine Eltern zurückgelassen, um in die USA zu gelangen dort zu arbeiten und ihnen zu helfen.“, sagt sie, während sie in einer Herberge in Ciudad Juárez festhängt. „Nun weiß ich nicht, was ich tun soll: es weiter versuchen, warten oder wieder zurückreisen.“