Kritischer Journalismus zeichnet sich dadurch aus, das Wesen dessen, über was er berichtet, von der Verpackung zu befreien. Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, existieren durchaus Beispiele dafür, wie so etwas geht. Sie finden sich allerdings kaum in dem Metier, das allgemein als der Mainstream bezeichnet wird (1).

Journalismus als Kontaktbörse

Kein Wunder, denn dort führen bei den privaten Anbietern einige Magnaten die Regie oder wie im öffentlich-rechtlichen Bereich eine Entourage, die sich von dem Momentum der kritischen Betrachtung seit langer Zeit bereits verabschiedet hat. Demzufolge wird wenig über die politischen Implikationen der einen oder anderen Option gesprochen und sehr viel, wenn nicht gar exklusiv von den Personen, die allgemein als die Spitzenkandidaten bezeichnet werden.

Durchkämmt man die journalistischen Produkte, dann ist viel zu lesen über die Gesten, Bilder, Versprecher und die Kleidung einer Annalena Baerbock, über das Lachen an falscher Stelle oder die rheinische Nonchalance eines Armin Laschet oder die Verschmitztheit und das kalkulierte Understatement eines Olaf Scholz. Die politische Programmatik, für die sie stehen, spielt eine eher untergeordnete Rolle. Viel ist auch die Rede davon, wer denn mit wem bei welchem Ergebnis koalieren könnte. Es mutet fasst so an, als ginge es um die große Show an einer Kontaktbörse oder die frivolen Optionen in einem Swinger-Klub.

Selbst der offensichtliche personale Kontext wird kaum thematisiert. Die Grüne-Spitzenkandidatin käme sicherlich mit Aspiranten auf Ministerämter wie Anton Hofreiter, Robert Habeck oder Katrin Göring-Eckardt ins Amt, bei Armin Laschet sind es Personalien wie Friedrich Merz, Norbert Röttgen, Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer und Olaf Scholz hätte einen Karl Lauterbach, einen Kevin Kühnert oder einen Heiko Maas im Gepäck. Für welche Politik die Genannten stehen, wissen viele, und was dann kommen würde, wäre keine bloße Spekulation mehr. Indem jedoch der Fokus nur auf die Fassadenträger gerichtet ist, wird selbst diese offensichtliche Gewissheit ausgeblendet.

Gesellschaft ohne Gemeinsamkeiten

Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die bevorstehende Bundestagswahl richtungsweisend in einer Zeit voller Umbrüche sein wird. Viele Menschen suchen Hilfestellung hinsichtlich einer Neuorientierung von der Politik. Insofern wären genau das die Fragen, die in erster Linie zu interessieren hätten. Und wenn sie gestellt werden, bleibt vieles im Nebulösen oder es wird einfach tabuisiert.

Offiziell sind rund 60,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt. Geht man von einer regen Wahlbeteiligung aus, sagen wir einmal von 70 Prozent, dann entfallen bei den akuten Umfrageergebnissen ungefähr 10,5 Millionen Stimmen auf die SPD, 9,24 Millionen auf die CDU, 7,14 Millionen auf die Grünen, 4,26 Millionen sowohl auf die FDP wie die AfD und 2,52 Millionen auf Die Linke. Die Gesamtrepräsentanz der Bundespopulation von circa 83,2 Millionen im Bundestag läge also bei knapp unter 40 Millionen.

Unabhängig von der Frage, wie repräsentativ ein solches Ergebnis sein kann, wird ersichtlich, dass die Interessenlage in der Gesellschaft sehr divers geworden ist und kaum mehr große Gemeinsamkeiten identifiziert werden können; bis auf die, dass hinsichtlich der Erhaltung des Friedens mit dem Festhalten an der NATO und der Umsetzung der US-amerikanischen Konfrontationspolitik bis auf eine Ausnahme Konsens besteht und sich von daher eine Erörterung von Zukunftsfragen gar nicht mehr stellt. Und obwohl diese Frage an Brisanz nicht mehr zu überbieten ist, weil alles, was dazu beitragen könnte, alte wie neue gesellschaftliche Gemeinsamkeiten zu identifizieren, von essenzieller Bedeutung ist. Wie fade ist da die journalistische Aufbereitung einer Castingshow im plumpen Unterhaltungsformat.


Quellen und Anmerkungen

(1) Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag soll am 26. September 2021 stattfinden. Insgesamt nehmen 47 Parteien an der Bundestagswahl teil.

Der Originalartikel kann hier besucht werden