Red. Der Skandal um die geheimen Kredite der Banken Credit Suisse und VTB in Gesamthöhe von über zwei Milliarden Dollar an Mosambik führt in diesem Land zu noch mehr Armut und Inflation. Auf Infosperber berichtet Thomas Kesselring seit 2016 über den Fall. Kesselring unterrichtete jahrelang an einer Universität in Mosambik.
Thomas Kesselring für die Online Zeitung INFOSperber
Die seit über fünf Jahren schwelende Kredit-Affäre kommt mit dem Vergleich*, den die Credit Suisse mit Behörden in den USA, Grossbritannien und der Schweiz abschloss, noch keineswegs zum Abschluss. Eher ist es der Auftakt zu weiteren Forderungen, auf die sich die Grossbank einstellen muss.
Die wertvollste Aufklärungsarbeit im Mosambik-Skandal haben bisher die USA geleistet, obwohl sie mit dem Skandal nur insofern zu tun haben, als zu den Geprellten auch amerikanische Anleger gehören. Die Sanktionen des US-Justizministeriums beziehen sich entsprechend darauf, dass die CS beim Ematum-Kredit die Wertpapier-Käufer getäuscht hat. Der verlangte Forderungsverzicht von 200 Millionen gegenüber Mosambik bezieht sich ebenfalls auf diesen Kredit. Auf die dreisten Bestechungen bei der Vergabe des Proindicus-Kredits und die grobfahrlässigen Compliance-Prozesse bei den beiden Krediten reagieren hingegen die US Security and Exchange Commission (SEC) und die englische Financial Conduct Authority (FCA) mit der Verhängung saftiger Strafen. Die Finma, die keine Bussen verhängen darf, schliesst sich mit einer harrschen Rüge an die Adresse der CS an und verfügt, dass die Bank ihr Risk-Management grundlegend verbessern und Kreditgeschäfte mit Hochrisikoländern von einem unabhängigen Dritten überprüfen lassen muss.
Mosambik, das von der Bank die Abschreibung des Proindicus-Kredits verlangt, kann sich nach dieser konzertierten Aktion berechtigte Hoffnungen machen.
Weil die Kredite von Londoner Bankfilialen aus vergeben worden sind, ermittelt auch der Londoner High Court. Von ihm droht der CS weiteres Ungemach, denn bei ihm kumulieren sich die meisten Klagen in der Mosambik-Affäre:
- Ein Gläubigerkartell, darunter mehrere Geldhäuser und Hedgefonds, der Banco Comercial Portugues und die United Bank for Africa und auch der Banco Internacional de Moçambique, klagen gegen die CS;
- Der Staat Mosambik klagt ebenfalls gegen die CS, aber auch gegen die Schiffbaufirma Privinvest und deren Chef, Iskandar Safa;
- Privinvest (Iskandar Safa) klagt gegen Mosambik und insbesondere gegen dessen Präsidenten Nyusi;
- Die russische Bank VTB klagt gleichfalls gegen Mosambik.
Die für August 2021 angekündigten Verhandlungen am Londoner High Court sind auf Oktober bis Dezember 2023 vertagt worden. Das Gericht will offenbar die Entwicklung von Verhandlungen andernorts abwarten:
In Schiedsgerichten in Genf und Paris wird über eine Forderung von Privinvest an Mosambik von ungefähr 800 Millionen Dollar verhandelt;
In Mosambiks Hauptstadt Maputo läuft seit August ein Monsterprozess gegen 19 mosambikanische Angeklagte;
Das südafrikanische Justizministerium überlegt seit zweieinhalb Jahren hin und her, ob es den dort festsitzenden mosambikanischen Finanzminister der Ära Guebuza an Mosambik oder an die USA ausliefern soll;
Last but not least ermittelt auch die Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen die Credit Suisse. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.
*Der Vergleich der Credit Suisse mit dem US-Justizministerium
Laut der Agentur Bloomberg umfasst der Vergleich folgende Punkte:
- Zahlung von 247,5 Millionen Dollar an das US-Justizministerium (die sich nach Anrechnung von Zahlungen an andere Behörden auf 175,5 Mio. USD reduzieren); damit erkauft sich die Bank einen dreijährigen Aufschub der Strafverfolgung in den USA;
- 100 Millionen Dollar an die US-Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission);
- Zahlung von 147,2 Millionen britische Pfund (200,6 Millionen Dollar) an die britische Finanzmarkt-Aufsicht (Financial Conduct Authority);
- Verzicht auf 200 Millionen Dollar bei Mosambiks Schuldentilgung;
- Beauftragung eines unabhängigen Dritten mit der Überprüfung von Compliance-Prozessen bei Krediten an Unternehmen in finanzschwachen Hochrisikoländern (das ist die Forderung der Schweizer Finanzmarktaufsichtsbehörde Finma).
Nach dem Paukenschlag vom Dienstag sollte sich die Credit Suisse jedenfalls mit weiteren Rückstellungen wappnen. Zahlt Mosambik die Kredite nur teilweise oder gar nicht zurück oder sollte es gar den Prozess gewinnen, werden die Gläubiger die Bank haftbar machen. Es ist davon auszugehen, dass Mosambik seine Schulden auf absehbare Zeit nicht wird bedienen können. Denn das Land befindet sich in der schlimmsten ökonomischen und politischen Krise seiner Geschichte – nicht zuletzt als Folge des Kreditschlamassels. Gegen zwei Millionen Menschen sind wegen ausbleibender Entwicklungsgelder in die absolute Armut abgerutscht. Wo 2010 riesige Offshore-Gaslager entdeckt wurden, herrscht heute Krieg. Die meisten ausländischen Firmen zogen sich abwartend zurück. Die Erdgasförderung verschiebt sich immer weiter in die Zukunft, und der Klimawandel drückt auf die Gaspreise. Auf boomenden Gas-Exporten aber lagen die Erwartungen der Banken und Investoren, als vor neun Jahren das unselige Geschäft mit den geheimen Krediten seinen Anfang nahm.
Chronologie des Skandals um die Mosambik-Kredite
September 2013: In Mosambik gibt ein obskures Thunfischfang-Projekt einer unbekannten Firma namens Ematum [Empresa moçambicana de Atum – mosambikanische Thunfisch-Firma] Rätsel auf. Französische Zeitungen berichten vom geplanten Bau einer Thunfischfangflotte für 230 Millionen Dollar in Cherbourg. Der Gesamtkredit ist aber um ein Vielfaches höher. Die Verwendung von mindestens 500 Millionen Dollar bleibt unerklärt und beherrscht in Mosambik mehr als zwei Jahre lang die Schlagzeilen.
August 2015: Der IWF ist über den Ematum-Kredit von 850 Millionen Dollar nicht informiert worden. Seine Anfrage, ob Mosambiks Regierung weitere Kredite verheimliche, wird von dieser verneint.
April 2016: Nach einer Umstrukturierung des Ematum-Kredits werden zwei weitere Grosskredite bekannt, die Mosambik 2013/14 insgeheim aufgenommen hat. Auch das für die Bewilligung von Krediten zuständige Parlament war nicht informiert. Die drei Kredite betragen zusammen 2,07 Milliarden Dollar und sind hälftig von der CS London und der russischen Staatsbank VTB, Filiale London, organisiert worden. Sie galten einem Küstenschutzprojekt, für das Mosambik mit der libanesischen Schiffbaufirma Privinvest (Gründer und Chef: Iskandar Safa) zusammenarbeitete. Zu jedem der drei Kredite war eine halbstaatliche Firma gebildet worden, die alle drei dem Geheimdienst unterstanden. IWF und Geberländer frieren die Budgethilfe an Mosambik ein. Das Land verliert damit mehrere Hundert Millionen Dollar pro Jahr und minimiert die Ausgaben im sozialen Bereich. Etwa zwei Millionen Menschen fallen deswegen in die absolute Armut zurück.
Dezember 2016: In einem Hearing erfährt das mosambikanische Parlament, die Geheimhaltung der Kredite habe militärische Motive (2013-2015 war der Gewaltkonflikt mit der Renamo wieder aufgeflammt). Da man schwerlich Gläubiger für den Bau von Marineschiffen gefunden hätte, sei die Idee mit der Thunfischfangflotte aufgekommen. Zeitgleich stellt der «Rat Kontrapunkt» in einem offenen Brief in der WOZ ein paar Fragen an die CS-Leitung zu ihrem Mosambik-Geschäft. Die Bank schweigt.
April 2017: Anlässlich der CS-Generalversammlung erklärt Verwaltungsratspräsident Urs Rohner, der CS-Kredit an Mosambik habe einem Projekt für «Fischereiausrüstung» gegolten. Alles andere sei blosse Spekulation.
Juni 2017: Nach dreimonatiger Untersuchung legt die Firma Kroll mit ihrem Audit-Bericht neue Erkenntnisse vor: Die Banken CS und VTB bezahlten sämtliche Kredite direkt an Schiffbauer Privinvest aus, an Mosambik gingen davon lediglich 18 Millionen. Privinvest eröffnete 2013 in Zürich zur Abwicklung der Projektfinanzen eine Zweigfirma namens Palomar Capital Advisors. Ihr Chef, Andrew Pearse, hatte zuvor als Investmentbanker bei der CS London den Proindicus- und Ematum-Kredit auf den Weg gebracht. Die Audit-Firma hält die Schiffe für massiv überteuert und die Auszahlungen an die Zürcher Palomar-Firma für überzogen. Das Rätsel um fehlende 500 Millionen bleibt weiterhin ungelöst.
August 2017: Das Firmenimperium Privinvest kauft von der französischen Necotrans das Unternehmen Advanced Maritime Transports (AMT) in Nyon und erhält damit eine Tochterfirma in der Schweiz (nach Auflösung der Firma Palomar in Zürich). Im AMT-Verwaltungsrat nehmen zeitweise Personen Einsitz, die 2018 von einem amerikanischen Gericht wegen illegaler Geldtransfers und Schmiergeldzahlungen angeklagt werden. AMT betreibt u. a. Schiffstransporte für Öl und Gas in Afrika. Der Firmenchef, Arnaud Lelouvier, hat 2013 eine Million an Schmiergeldern erhalten. AMT ist seit 2020 in der Region von Mosambiks Offshore-Gasfeldern für Logistik zuständig. Die Region ist aber zu diesem Zeitpunkt Kriegsgebiet und der Aufbau von Infrastruktur für die Ölförderung gestoppt.
Dezember 2018: Das Gericht des Eastern District of New York erhebt Klage gegen drei Investmentbanker der CS London, drei hohe Funktionäre in Mosambik und zwei leitende Angestellte der Schiffbaufirma Privinvest (beides zeitweilige Vorstandsmitglieder der Firma AMT in Nyon). Mindestens 200 Millionen Dollar seien in Schmiergelder und Kickbacks geflossen. Der ehemalige Finanzminister Mosambiks, Manuel Chang, wird in Südafrika verhaftet. Dort befindet er sich immer noch in Vorbeugehaft. Jean Boustani, Verkaufsleiter von Privinvest, wird in einem New Yorker Flughafen verhaftet.
März 2019: Gestützt auf die amerikanische Anklageschrift erhebt die Staatsanwaltschaft Mosambiks Anklage wegen Unterschlagung, Erpressung, Geldwäsche, Korruption, Amtsmissbrauch, Dokumentenfälschung und krimineller Vereinigung gegen 20 Personen, darunter den ältesten Sohn und die Privatsekretärin des vormaligen Präsidenten Guebuza.
April 2019: An der Generalversammlung der CS stellen Vertreter der mosambikanischen FMO (Forum de Monitoria do Orçamento, eines Zusammenschlusses von örtlichen NGOs) Fragen an die CS-Leitung. Verwaltungsratspräsident und Chefjurist antworten: Die Machenschaften in der Londoner Filiale seien «bedrückend», man habe erst vor Kurzem durch die New Yorker Klageschrift davon erfahren und werde mit den Behörden kooperieren. Bei einem informellen Treffen mit Vertretern der CS-Konzernspitze loten die Mosambikaner die Bereitschaft der Bank zu einem Forderungsverzicht aus. Der CS-Chefjurist findet nette Worte, bleibt aber knallhart und unnachgiebig.
Juni-Dezember 2019: Am New Yorker Gericht legen die drei fehlbaren Investmentbanker der CS London nacheinander Schuldgeständnisse ab. Hingegen wird Privinvest-Verkäufer Boustani nach einem sechswöchigen Verfahren Anfang Dezember 2019 auf freien Fuss gesetzt: Die Geschworenen urteilen, das amerikanische Gericht sei für seinen Fall nicht zuständig. Zeugen und Angeklagte geben detaillierten Einblick in die Chronologie des Skandals und die engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen Boustani und Präsident Guebuza, aber auch zwischen Iskandar Safa und dem Präsidentensohn Ndambi Guebuza.
August 2021: Der Londoner High Court London verschiebt die geplanten Verhandlungen im Mosambik-Fall um zwei Jahre auf Oktober 2023. Das mosambikanische Centro de Integridade Pública (CIP) hat diverse Prozessunterlagen gesammelt. Darunter auch die Klage des Privinvest-Chefs Safa gegen Mosambiks Präsidenten Filipe Nyusi, er habe als Präsident die Ausführung des Küstenschutzprojekts vereitelt, um sich von seinem Vorgänger, Ex-Präsident Guebuza, abzusetzen.
August 2021: In Maputo beginnen die Gerichtsverhandlungen gegen 19 Angeklagte, darunter der Sohn und die Sekretärin des Ex-Präsidenten Guebuza. Für die Verhandlungen ist eine Dauer von drei Monaten vorgesehen. Auf Schuld-Eingeständnisse hofft man bisher vergeblich. Nyusi und Guebuza sind beide in den Skandal verstrickt, sind aber nicht angeklagt. Zwischen den beiden herrscht ein tiefes Zerwürfnis, und es zeichnen sich zwei gegeneinander arbeitende Allianzen ab: Einerseits Guebuza und Iskandar Safa, andererseits Nyusi und die mosambikanische Staatsanwaltschaft.
Oktober 2021: Die Börsen- und Finanzmarktaufsicht der USA und Englands verurteilen die CS und auferlegen ihr Zahlungen von mindestens 675 Millionen Dollar (die russische Bank VTB erhält eine Busse von 6,4 Millionen Dollar aufgebrummt). Zeitgleich ergreift die Finma die Gelegenheit zu einer scharfen Rüge an die Adresse der Credit Suisse.