Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber
Der Anwalt Steven Donziger trägt seit mehr als 800 Tagen eine Fussfessel, weil er in eine Fehde mit dem Öl-Giganten Chevron verstrickt ist. Das sei rechtswidrig, sagten mehrere Experten für internationales Recht, unter anderen auch Nils Melzer. Die zuständige US-Richterin beeindruckte das wenig.
Donziger ist einer der weniger bekannten Fälle von Gefangenen, die lange eingesperrt, aber nicht verurteilt sind. Der Anwalt gewann als Vertretung zehntausender Indigener 2011 einen Fall von Umweltzerstörung im Amazonasgebiet. Der Ölmulti Chevron wurde zur Zahlung von 19 Milliarden Dollar Schadenersatz verurteilt, die später auf 9,4 Milliarden reduziert wurden. Bezahlt hat Chevron sie noch immer nicht.
Hunderte Anwälte und ein Konzern
Dem bereits epischen Verfahren folgte ein jahrzehntelanger juristischer Streit. Hunderte Anwälte machten sich daran, Donzigers Leben zur Hölle zu machen. Er wurde der Bestechung beschuldigt, zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt, verlor seine Zulassung als Anwalt und den Zugriff auf sein Bankkonto.
Seit August 2019 sitzt Donziger in Hausarrest, weil er sich mit Verweis auf die Privatsphäre seiner Klienten weigerte, sein Handy und seinen Computer auszuhändigen. (Infosperber berichtete im März 2020: «Der Mann, der gegen Chevron gewann – und alles verlor»). Die Höchststrafe für diese Weigerung sind sechs Monate Gefängnis.
Am 30. September veröffentlichte die Arbeitsgruppe der UNO für willkürliche Inhaftierung ein Gutachten, nach dem der andauernde Hausarrest von Donziger gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) verstösst. Das international bindende Übereinkommen ist Teil des Menschrechtskodex, dem auch die USA beigetreten sind.
Die Arbeitsgruppe aus fünf internationalen Juristen forderte die USA auf, Donziger unverzüglich freizulassen und ihm ein «einklagbares Recht auf Entschädigung zu gewähren». Sie äusserte zudem Zweifel an der Neutralität des Gerichts. Das Gutachten folgte einer Petition von Amnesty International.
In einem Interview erklärt der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, der nicht Mitglied der Arbeitsgruppe ist, die Entscheidung. Ein Ausschnitt des mit Untertiteln versehenen Videos findet sich in Donzigers Twitter-Profil.
Donzigers Hausarrest sei demnach nicht gerechtfertigt. Von dem Anwalt gehe keine Gefahr für die Öffentlichkeit aus, ein Fluchtrisiko sei nicht plausibel, führt Melzer auf. Der Hausarrest dauere inzwischen viermal länger als die höchstmögliche Gefängnisstrafe von sechs Monaten, das sei völlig unverhältnismässig.
Donziger droht nun zusätzlich eine Gefängnisstrafe
Die US-Richterin Loretta Preska, die am 1. Oktober über Donzigers Fall entschied, beeindruckte das Gutachten nicht. Donziger muss wegen Missachtung des Gerichtsbeschlusses für sechs Monate ins Gefängnis – zusätzlich zu den mehr als zwei Jahren Hausarrest, der nicht aufgehoben wird.
Verschiedene US-Abgeordnete wie die bekannte Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez setzen sich für Donziger ein. Donziger, der in New York lebt, hat ausserdem die New Yorker Abgeordnetendelegation, deren Mitglieder sich zu seinem Fall bisher auffallend ruhig verhalten, um Hilfe gebeten. Die Zurückhaltung der Abgeordneten basiere möglicherweise auf politischen Beziehungen der Abgeordneten zu Big Oil, schreibt der «Intercept». Eine Kaution wurde abgelehnt, Donziger trat am 27. Oktober seine Haftstrafe an.