Rainer Stadler für die Online-Zeitung INFOsperber
In der vergangenen Woche weitete die EU ihre Sanktionen gegen Russland auch auf den Mediensektor aus. Die Vertreter der EU-Staaten schlossen sich dem Vorstoss von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen an und verboten die Verbreitung der von Russland finanzierten Sender RT und Sputnik. Die Präsidentin lässt sich auf der EU-Website so zitieren: «In dieser Kriegszeit sind Worte wichtig. Wir sind massiver Propaganda und Desinformation über diesen verabscheuungswürdigen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land ausgesetzt. Wir werden diesen Sprachrohren des Kremls nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten.» Vize-Präsident Josep Borrell wiederum sagte, die russische Desinformation stelle «eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union dar.»
Etliche Redaktionen informierten ihr Publikum über dieses Verbot. Aber bloss in Form einer Nachricht. Weitere Erwägungen oder Kommentare dazu waren kaum zu lesen. Man war schweigend einverstanden. Die Befehle aus Brüssel wurden umgesetzt. In Kriegszeiten verengt sich der Horizont. Und das auf gefährliche Weise, wie die derzeitigen Ereignisse zeigen. Unbescholtene Bürger werden schikaniert, nur weil sie einen russischen Pass haben. Oder man versucht es mit der Umbenennung von Backwaren mit russischem Namen und ähnlichen peinlichen Absurditäten.
Der britische Premierminister Boris Johnson machte beim EU-Verbot allerdings nicht mit, sondern leitete den Fall an die Medienaufsicht Ofcom weiter, die nun abklärt, ob RT gegen die Vorschriften für Radio- Fernsehsender verstossen hat. Immerhin in Grossbritannien hat der Regierungschef daran gedacht, dass es in demokratischen Staaten nicht die Aufgabe von Exekutiven sein darf, Medienangebote nach Gutdünken zu verbieten. Deren Zulassung oder Sanktionierung muss auf der Basis von rechtlichen Verfahren erfolgen. So ist es in Rechtsstaaten vorgesehen. Auf diese zivilisatorische Errungenschaft legt die EU im Allgemeinen wert – auch um sich gegenüber Potentaten wie dem russischen Staatschef abzugrenzen.
Urteilsfähige Konsumenten
Zweifellos nimmt RT – das zumeist im Fokus der hiesigen Medienberichterstattung steht – propagandistische Funktionen wahr. Gerade im Hinblick auf den russischen Überfall auf die Ukraine widerspiegelt das Medienorgan unvermittelt die Sichtweise des Kremls. Doch warum sollen die Konsumenten im EU-Raum nicht in der Lage sein, selbst zu erkennen, die Stimme welcher Herren sie hier vernehmen?
Europäische Staaten leisten sich milliardenschwere öffentliche Radio- und Fernsehsender, die das Publikum nach den einschlägigen Regeln des Journalismus auf dem Laufenden halten und ihm die Weltereignisse darlegen. Dasselbe tun im wirtschaftlich potenten privaten Sektor unzählige Medienunternehmen. Das Verbot der EU ist eine eklatante Misstrauensbekundung gegenüber der Leistungsfähigkeit der einheimischen Informationsbetriebe. Diese akzeptieren das, indem sie die EU-Entscheidung als selbstverständlich hinnehmen.
Das Sendeverbot dokumentiert zudem eine paternalistische Gesinnung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die EU-Oberen trauen ihnen offenbar nicht zu, Fakten von Falschinformationen unterscheiden zu können. So kann sich die Wertegemeinschaft schlecht gegenüber dem diktatorischen Wirken des Kremlchefs profilieren. Demokratische Staaten sollten auf die Macht des besseren Arguments und der fairen Darstellung von Sachverhalten vertrauen. Mit Medienverboten schneiden sich Demokratien ins eigene Fleisch. Sie erleichtern es Diktatoren, in ihren Ländern die Schraube anzuziehen. Und das tut Putin derzeit auf unerträgliche Art, indem er quasi jede freie journalistische Tätigkeit als kriminell erklärt.