In den letzten Wochen haben wir deutschlandweit Vorträge und Treffen organisiert und immer mehr Menschen in gewaltfreiem, zivilen Widerstand trainiert.

Nachdem eine inhaltliche Reaktion der Bundesregierung auf unser dringendes Anliegen unsere Lebensgrundlagen zu schützen, einen Klimakollaps abzuwenden und dabei als ersten Schritt eine Lebenserklärung gegen neue fossile Infrastruktur abzugeben ausblieb, kündigen wir – Die Letzte Generation – die Fortsetzung der Störung an. In einem offenen Brief an die Bundesregierung erläuterten wir heute erneut dessen historische Verantwortung in der Klimakrise und forderten Sie zur Umsetzung der ersten jetzt zwingend notwendigen Schritten auf.„Wir erleben die aktuelle Notlage als eine Tragödie für unser Land und werden deshalb in konsequentem Schluss durch friedlichen zivilen Widerstand die Störungen fortsetzen, auch wenn wir das im Hinblick auf die Bedürfnisse unsere Mitmenschen, die wir in ihrem Alltag und auf dem Weg zur Arbeit unterbrechen, nur sehr bedauern können. Doch was bleibt uns noch, wenn wir von der Regierung im Stich gelassen werden?“, fragt Lea Bonasera, gerichtet an die deutsche Bundesregierung.Wir haben in den vergangenen Wochen unzählige Male friedlich mit Namen und Gesicht den tödlichen Ölfluss durch das Abdrehen von Pipelines unterbrochen. Während wir damit grosse Zustimmung aus der Bevölkerung erfahren haben, mussten wir auch feststellen, dass dieses Mittel nicht in der Lage zu sein schien, den öffentlichen Diskurs massgeblich zu prägen sowie die notwendige Reaktion der Verantwortlichen zu bewirken. Dafür braucht es eine öffentliche Störung durch die Unterbrechung des Alltags.

„Für uns ist es ganz klar, dass wir bereit sind, im Hinwirken auf eine demokratische Notfallwirtschaft friedlich alles zu riskieren, um unsere Gesellschaft aus diesem Klimakollaps zu führen. Wir denken, dass es in Anbetracht des sich schliessenden Zeitfensters moralisch und strategisch der einzige Weg ist, über friedlichen zivilen Widerstand an die Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Mitmenschen – auch an Sie – zu appellieren“, sagt Henning Jeschke gerichtet an die deutsche Bundesregierung.

In den letzten Wochen haben wir deutschlandweit Vorträge und Treffen organisiert und immer mehr Menschen in gewaltfreiem, zivilen Widerstand trainiert. Ab dem 18.Juni werden wir mit weitaus mehr Menschen als zuvor in Berlin die Autobahnen zum Ort des friedlichen Widerstands machen. Wir müssen jetzt handeln, als ob unser Leben davon abhinge – denn das tut es.

Anbei finden Sie den offenen Brief an die Bundesregierung vom 03. Juni 2022.

Berlin, 3. Juni 2022

Sehr geehrter Herr Scholz,

Sehr geehrter Herr Habeck,

Sehr geehrter Herr Lindner,

Sehr geehrte Bundesregierung,

eine inhaltliche Reaktion Ihrerseits auf unsere dringlichen Anliegen blieb auch in den vergangenen Wochen aus. Wir erleben das in der aktuellen Notlage als eine Tragödie für unser Land und werden deshalb in konsequentem Schluss durch friedlichen zivilen Widerstand die Störungen fortsetzen, auch wenn wir das im Hinblick auf die Bedürfnisse unsere Mitmenschen, die wir in ihrem Alltag und auf dem Weg zur Arbeit unterbrechen, nur sehr bedauern können.

Doch was bleibt uns?

Wir sind mit Ihnen, Herr Scholz, im November ins Gespräch getreten, wir haben jahrzehntelang Demonstrationen, Petitionen und alle anderen staatlich vorgesehenen Protest-Mittel versucht, um die Notlage abzuwenden, der wir uns gegenübersehen. Diese Versuche sind gescheitert.

Laut dem Weltklimarat1 und den renommiertesten Wissenschaftler:innen bleiben nur noch wenige Jahre, um den Weg in den absoluten Kollaps unserer Zivilisation aufzuhalten, und nur eine sozial gerechte Notfallwirtschaft ist in der Lage, das noch zu erreichen. Nur sie ist in der Lage, die über uns hereinbrechende wirtschaftliche, soziale und ökologische Katastrophe noch abzuwenden – vorausgesetzt, wir handeln sofort. Vorausgesetzt, SIE handeln sofort.

Wir brauchen Wertschätzung für unser Land und alle Mitmenschen, unsere Lebensgrundlagen, unsere Ernährung, unsere Landwirt:innen, damit wir nicht in Hungersnöte kommen. Wir brauchen wirtschaftliche Stabilität durch eine Umgestaltung und Reduktion des Verkehrs, des Energiesektors und der Gebäudekonstruktion. Wir müssen die Erneuerbaren Energien durch öffentliche Interventionen massiv ausbauen, Gebäude dämmen und auf die beste verfügbare Technologie setzen, während wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren: eine stabile Welt.

Das Bundesverfassungsgericht sagte in seinem Klimaurteil[1] BvR 2656/18, Rn. 33: „Begrenzt werden kann der weitere Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre vor allem durch eine Minderung der weiteren CO2-Emissionen in dem Sinne, dass bereits die Entstehung solcher Treibhausgasemissionen vermieden wird, etwa durch einen Verzicht auf die Verbrennung fossiler Energieträger.“

In dieser Zeit, in der wir also schnell die Segel neu setzen und fossile Energieträger reduzieren müssen, ist daher offenkundig: Wir können es uns schlicht am allerwenigsten leisten, die zerstörerische fossile Infrastruktur auch noch weiter auszubauen, Öl und Gas aus weiteren blutigen Diktaturen wie Katar zu importieren oder in der Nordsee nach danach zu bohren. Denn die Katastrophen der letzten Jahre, die Fluten im Ahrtal und nicht zuletzt der Ukraine-Krieg haben gezeigt: Jeder Euro in neue fossile Projekte ist auf absehbare Zeit ein Todesurteil für uns oder Menschen, die uns nahestehen. Die fossilen Energien haben uns in diese Notlage geführt und ihr Ausbau wird die Katastrophe nur verschlimmern.

Er ist auch nicht notwendig. Konsequente Sparmassnahmen wie ein Tempolimit, attraktiver Öffentlicher Personenverkehr und schnelle Dämmung unserer Häuser machen uns unabhängig von Russland und von Nordsee-Öl aus dem Nationalpark. Das zeigt auch eine Studie der Energy Watch Group aus 2021[2], die klar darlegt, dass sogar die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 mit effizienter Planung und Einsparmassnahmen möglich ist.

Daher begrüssen wir sehr die Einführung des 9-Euro-Tickets und können nur anraten, im Sinne der notwendigen Transformation den Nahverkehr dauerhaft kostenlos zu machen, für den Erhalt der Lebensgrundlagen und die Mobilitätsbedürfnisse ärmerer Familien.

Das sind nur Einzelschritte – wir müssen nun das grosse Ganze anpacken. Das mag zunächst schwierig erscheinen, aber durch das sich rasend schliessende Zeitfenster sehen wir einen Weg aus dieser Krise in eine Welt, in der wir unsere Demokratie und unseren Wohlstand ausbauen können – doch aktuell versperrt die Politik unserer Bundesregierung diesen Pfad.

Im Bürgerrat Klima haben sich letztes Jahr zufällig ausgeloste Bürger:innen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammengesetzt und waren in der Lage, sich sehr schnell auf effektive Massnahmen zur Begrenzung der Erderhitzung zu einigen. In diesem Prozess, einem demokratischen Meilenstein, wurde gezeigt, wie weit die Bevölkerung bereit ist zu gehen. Nun ist es an der Bundesregierung, die sich ja ebenfalls zu Bürgerräten bekannt hat, diesen demokratischen Forderungen zu entsprechen.

Anstatt nur das in der aktuellen politischen Stimmung machbar Scheinende zu versuchen, müssen wir jetzt das Notwendige wagen, um das Lebenswichtige zu erhalten. Die Vernichtung unserer Gesellschaft unterliegt keinen Machbarkeitserwägungen – denn sie ist keine Option.

Wir sind weiterhin bereit, friedlich alles – unsere persönliche Sicherheit und gar Gefängnisstrafen – zu riskieren, um unsere Gesellschaft aus diesem Klimanotfall heraus zu führen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sich das Zeitfenster in dem wir noch handeln können dramatisch schnell schliesst, was uns moralisch dazu verpflichtet, den strategisch effektivsten Weg des friedlichen zivilen Widerstands zu wählen. Wir appellieren damit an die Gerechtigkeitsvorstellungen unsere Mitmenschen – auch an Sie.

Natürlich verpflichten wir uns zum stets friedlichen Vorgehen und trainieren uns – auch wenn wir immer mehr Menschen werden – in Gewaltfreiheit. Nicht zuletzt weil uns bewusst ist, dass wir sonst in unserem Anliegen gescheitert sind.

Uns ist bewusst, dass auch innerhalb der Bundesregierung die Meinungen über uns auseinandergehen. Während Sie, Herr Habeck, uns neulich im persönlichen Gespräch Ihren “vollsten Respekt” ausgesprochen haben, haben Sie, Herr Bundeskanzler, uns vor einigen Tagen auf auf dem Katholikentag mutmasslich mit den Nationalsozialisten verglichen. Wir können nachvollziehen, dass unsere Störungen und Kommunikation bei Ihnen auf Irritationen stossen können. Daher ist es uns wichtig, neuerlich zu betonen, dass wir das Verhalten der Bundesregierung als verantwortungslos kritisieren und nicht einzelne Menschen beleidigen wollen.

Doch wie geht es weiter?

Wir haben in den vergangenen Wochen unzählige Male friedlich mit Namen und Gesicht den tödlichen Ölfluss durch das Abdrehen von Pipelines unterbrochen. Während wir damit grosse Zustimmung aus der Bevölkerung erfahren haben, mussten wir auch feststellen, dass dieses Mittel nicht in der Lage war, den öffentlichen Diskurs massgeblich zu prägen sowie die notwendige Reaktion der Verantwortlichen zu bewirken, sondern es dafür wieder der öffentlichen Störung durch die Unterbrechung des Alltags bedarf.

Wir werden folglich ab 18. Juni erneut in Berlin mit Autobahnblockaden in zivilem Widerstand friedlich stören und Sie im gleichen Zuge abermals eindringlich bitten, unserLeben zu schützen.

Wir setzen uns nicht auf die Strasse, um das Gesetz zu missachten, sondern um das Gesetz zu schützen, die Verfassung und den Rechtsstaat zu bewahren.

Wir tun das nicht gerne, sehen uns jedoch dazu gezwungen, da wir es als mildestes Mittel erachten, das uns nach Ausschöpfung aller anderen demokratischen Möglichkeiten bleibt. Gleichzeitig sind wir – wie auch schon in der Vergangenheit – weiterhin jederzeit zu Gesprächen bereit.

Wir schwimmen als Gesellschaft in stürmischen Gewässern und die fossile Infrastruktur ist ein Klotz am Bein, der schon viel zu schwer wiegt.

Wir werden deshalb gegen den fossilen Ausbau friedlich Widerstand leisten, sind aber jederzeit bereit, die Störungen zu unterbrechen, sollten Sie als Bundesregierung zustimmen, als ersten einfachen und logischen Schritt keine neuen fossilen Projekte wie Ölbohrungen in der Nordsee voranzutreiben, und jederzeit flexibel auf die politischen Gegebenheiten reagieren.

In freundlichem Drängen

Lea Bonasera

Henning Jeschke

Melanie Guttmann

und Unterstützer:innen der Letzten Generation

pm

Fussnoten:

[1] Weltklimarat WGIII 6. Sachstandsbericht (2022): https://report.ipcc.ch/ar6wg3/pdf/ IPCC_AR6_WGIII_SummaryForPolicymakers.pdf

[2] Studie der Energy Watch Group: https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/ EWG_Studie_2021_100EE-fuer-Deutschland-bis-2030_ES.pdf

 

Der Originalartikel kann hier besucht werden