Ich bin in einem Land geboren, das ganz im Westen von Europa liegt: Portugal. Als die NATO im letzten Jahrhundert gegründet wurde, war Portugal eine faschistische Diktatur (1926-1974) und führte ein riesiges Kolonialreich in der ganzen Welt, vor allem in Afrika. Das war erstaunlicherweise kein Hinderungsgrund , mein Land 1949 als Gründungsmitglied des neuen Militärbündnisses aufzunehmen! Die NATO verstand sich stets gut mit Diktaturen, allerdings nur von rechts, weil der Haupt- (oder der einzige?) Feind schon immer — damals wie heute — die Sowjetunion und die Russen waren…
Ich schreibe diesen Artikel, weil östliche Länder wie die Ukraine, oder auch Schweden und Finnland, zwar viele Erfahrungen mit den Russen gemacht haben und viel darüber erzählen können. Aber im Punkto NATO sind wir im Westen schon seit 1949 die Experten…
Meine eigene Leidensgeschichte mit der NATO
Ich möchte mit meinen eigenen persönlichen Erfahrungen mit der NATO anfangen. Ich lebte in den 1960er Jahren also in Portugal, einem faschistischen Land mit vielen Kolonien. Anfang der 60er, viel später als manch anderer Kolonien, haben die portugiesischen Kolonien in Afrika angefangen, mit Waffen gegen die Ausbeutung der Portugiesen und für ihr Recht auf Selbstbestimmung zu kämpfen. Die Afrikaner waren damals eindeutig die Helden, die gegen uns – Portugiesen – sich aufgelehnt haben, weil sie frei und unabhängig sein wollten: in Angola, Mozambik, Guinea-Bissau und in den Kapverden. Ich und viele andere portugiesische junge Männer mussten gegen die Schwarze Bevölkerung kämpfen und durften das Land nicht verlassen (ähnlich wie jetzt in der Ukraine, wo alle Männer zwischen 18 und 60 im Land bleiben und in den Krieg ziehen müssen, ob sie wollen oder nicht). Es gab damals in Portugal noch kein Recht auf eine Kriegsdienstverweigerung wie es sich in einer Demokratie gehört und es heute in Portugal und auch in Deutschland, wo ich jetzt wohne, existiert.
Der (ungerechte) Krieg der Portugiesen gegen die Afrikaner war aber für die NATO auch kein Problem, ganz im Gegenteil: NATO-Länder wie die USA, Deutschland und Frankreich haben den Portugiesen die Waffen geliefert, die sie für die Bekämpfung der Afrikaner brauchten!
Wie viele junge portugiesische Männer damals, war ich persönlich und politisch gegen diese Kolonialkriege der Portugiesen und wollten uns weigern: es gab aber für uns nur die Chance, ins Ausland zu fliehen, die meisten nach Frankreich: Kriegsdienstverweigerer, Deserteure, Anti-Faschisten. Ich bin 1969 nach Deutschland geflohen…
Als ich in Deutschland ankam wollte ich um politisches Asyl bitten (Personen aus Ukraine können ohne Registrierung in Deutschland einreisen und sich aufhalten!), mir wurde aber gleich gesagt, dass ich keine Chancen hatte… „Warum?“, fragte ich. „Weil Portugal ein NATO-Partnerland von uns ist!“…
Ich fühlte mich also von der NATO gleich zweimal verarscht: erstens, weil die NATO die unrechten Kriege gegen die Afrikaner unterstützte, und damit für sie mitverantwortlich war und auch dafür, dass ich fliehen musste; und zweitens, weil die NATO nach meiner Flucht (als indirektes Opfer dieses Krieges) mir hier im freien, demokratischen Europa ihren Schutz verweigerte!
Die NATO-Geschichte ist voll von Katastrophen
Dasselbe lief auch später und bis heute mit anderen NATO-Kriegen, fast alle illegal nach dem Völkerrecht: die NATO marschierte illegal in Irak und in Syrien ein, zerbombte ganz Libyen, und produzierte dadurch massenweise Flüchtlinge, die Schutz in europäischen NATO-Länder suchen… und dieselbe NATO-Länder erschweren, unterlaufen oder gar verweigern diesen Flüchtlingen später deren Schutz: Das ist wieder eine doppelte Bestraffung! Und das ist ein Zeichen, dass die NATO nicht in diese Länder einmarschiert ist, um deren Menschen zu helfen, sondern nur um die Interessen (wirtschaftliche, militärische, geostrategische) der reichen Länder und vor allem der USA zu dienen…
Und genau so schlimm ist es, liebe Ukrainer, Schweden und Finnen, dass, sobald ein NATO-Land ein illegaler Krieg angefangen hat, die anderen NATO-Länder mehr oder weniger gezwungen oder gedrängt werden, laut NATO-Vertrag mit diesem einem Land „solidarisch“ zu sein und mitzumachen! Wollt Ihr dann in Zukunft alle NATO-Schweinereien woanders mitmachen, nur um euch selbst zu „schützen“?
Die aggressive Expansion der NATO in Osteuropa
Seit dem Fall der Mauer expandiert die NATO immer mehr nach Osteuropa, obwohl niemanden dem Westen bedroht hat! Die wochenlange Bombardierung von Belgrad in den 90er Jahren, um die Unabhängigkeit Kosovos durchzusetzen, ist der Beweis, dass nach dem Fall der Mauer nicht Russland, sondern die NATO die militärischen Aggressionen in Osteuropa „eröffnet“ hat, um neue Gebiete zu erobern, sprich unter die Kontrolle der westlichen Eliten und Oligarchien zu bekommen.
Die neue NATO-Taktik: Outsourcing der Kämpfe
Neuerdings lässt die NATO andere Länder für sie kämpfen (militärisches Outsourcing), zum Beispiel in der Ukraine. Damit riskiert die NATO (=USA) kaum etwas und gewinnt dafür viel: mehr Einfluss, Zugang zu neuen Märkten, Verkauf von Gas und Waffen, etc. Wenn es schief geht, sind die anderen Schuld und die Verbündete werden von den USA fallengelassen (wie die Kurden in Syrien und in Irak)…
Die Ukrainer selbst werden von diesem Krieg kaum etwas profitieren: je länger der Krieg dauert, desto mehr Zerstörungen und weniger Land werden sie besitzen. Wenn sie das Minsker-Abkommen von 2015 respektiert und (ohne Krieg!) auf ihre Mitgliedschaft in der NATO verzichtet und Neutralität garantiert hätten, wären sie von Russland in Ruhe gelassen worden und könnten in Freiheit und unabhängig sowohl von Russland als auch von den USA leben … In der NATO findet man nur „Schutz“ von einer Gefahr, vor der man auch nur als Nato-Mitglied bedroht wird!
Noch ist es nicht zu spät … aber mit der NATO ist es auf jedem Fall auf Dauer kein Frieden möglich!
Text von Vasco Esteves
Der Text nimmt Bezug auf den Artikel „An die schwedischen und finnischen Bürger*innen aus Italien: NATO, wenn ihr sie kennt, meidet ihr sie!„