Vor zwei Woche fand in Kairo die letzte Runde der Verhandlungen zwischen den beiden miteinander verfeindeten libyschen Regierungen statt. Unter der Vermittlung der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Stephanie Williams, trafen Vertreter des in Tripolis sitzenden Hohen Staatsrats und des in Tobruk residierenden Abgeordnetenrats aufeinander.
Die Gespräche fanden in einer Atmosphäre voller Unsicherheit und Befürchtungen statt, nachdem es nur einige Tage zuvor in Tripolis zu Gewaltausbrüchen gekommen war. Laut Berichten sei es in der libyschen Hauptstadt zwischen Milizen, die den jeweiligen Regierungen anhängen, zu Kämpfen gekommen.
Das offizielle Ziel der Verhandlungen ist es, Libyens langwierigen und komplizierten Übergang zur Demokratie abzuschließen, nachdem das vergangene Jahrzehnt von Instabilität, politischen Machtkämpfen und einem Bürgerkrieg geprägt worden war. Die Verhandlungen sind eine Folge der Verschiebung der Wahlen im Dezember auf unbestimmte Zeit. Dabei waren verschiedene Probleme aufgetreten, die die Frage betrafen, ob bestimmte Kandidaten überhaupt antreten dürften. Diese Verschiebung ließ wiederum an der Legitimität des Interims-Ministerpräsidenten Abdulhamid Mohammed Dbeiba zweifeln, der 2021 bei einem durch die Vereinten Nationen angestoßenen Prozess eigentlich zum Ministerpräsidenten ernannt worden war, um die Wahlen zu organisieren. Mit der Begründung, dass damit seine Amtszeit vorüber sei, wählte das konkurrierende Abgeordnetenhaus daraufhin einen eigenen Ministerpräsidenten, Fathi Baschagha. Vor einem Monat scheiterte Baschagha doch daran nach Tripolis zu kommen, um seine Macht zu konsolidieren.
Pessimistische Stimmen zweifeln daran, dass es Libyen gelingen wird, den langjährigen politischen Stillstand zu überwinden, unter dem das Land seit Muammar Al-Gaddafis Sturz 2011 leidet. Zu diesem folgenschweren Ereignis war es nach einer Militärintervention der NATO gekommen. Nach seinem Sturz war das Land auf sich allein gestellt, den politischen Übergang zu meistern, da die Interventionsmächte darauf verzichten hatten, für ein Wiederaufbauprojekt von ausreichender Länge vor Ort zu bleiben. Das sich daraus ergebende Machtvakuum wurde daraufhin von verschiedenen sich untereinander bekämpfenden Akteuren gefüllt.
Als dann die Regierung sich in zwei konkurrierende Lager spaltete, die jeweils im Osten und Westen des Landes verankert waren, eskalierte die Situation schnell zu einem offenen Bürgerkrieg. Verschlimmert wurde die Lage noch durch die Einmischung auswärtiger Mächte, die die Situation ausnutzten, indem sie in diesem Jahrzehnt der Instabilität abwechselnd verschiedene Gruppen unterstützten. Obwohl es seit 2020 nicht mehr zu größeren Kämpfen gekommen ist, hat es Libyen noch nicht geschafft, das Risiko einer erneuten Gewalteskalation zu bannen, weil sich bisher nicht auf die Abhaltung freier und fairer Wahlen geeinigt werden konnte.
Die letzte Runde der Verhandlungen in Kairo versucht daher dieses Patt zu überwinden und den Beginn einer Demokratie in Libyen zu ermöglichen. Noch ist nicht abzusehen, ob es gelingen wird im Konsens eine neue Verfassung auszuarbeiten. Irgendwann aber müssen die 2011 durch die NATO verursachten Schäden zugunsten der Menschen in Libyen überwunden werden, die so viel durchgemacht haben. Ein Abkommen erscheint zumindest dem Anschein nach möglich. Mitglieder beider politischer Lager im gemeinsamen Militärausschuss betonten ihren Wunsch, eine erneute Rückkehr zum Krieg verhindern zu wollen, um somit eine Einheit erreichen zu können. Falls diese Erklärung auch nur über irgendein substanzielles Gehalt verfügt, handelt es sich zumindest um einen ersten wichtigen Schritt, die Gewalt und das Chaos, unter dem Libyen seit 2011 leidet, zu überwinden.
Die Übersetzung wurde aus dem Englischen wurde von Daniel Jerke vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!