Der Westen macht Russlands Krieg für eine internationale Hungerkatastrophe verantwortlich.

Die »Tagesschau« meldet: »Bundesaussenministerin Annalena Baerbock hat Russland vorgeworfen, den Hunger in der Welt ›ganz bewusst als Kriegswaffe‹ einzusetzen. Russland ›nimmt die ganze Welt als Geisel‹, sagte Baerbock zu Beginn einer internationalen Ernährungskonferenz in Berlin. Baerbock kritisierte, Russland versuche die Schuld an den explodierenden Nahrungsmittelpreisen ›anderen in die Schuhe zu schieben‹, doch das seien ›Fake News‹.Die Regierung in Moskau trage allein die Verantwortung dafür. Russland blockiere Häfen und beschiesse Getreidespeicher; es gebe auch keine Sanktionen gegen russische Getreideexporte. Ähnlich äusserte sich US-Aussenminister Antony Blinken ( ). Russland lasse ›zielgerichtet Lebensmittelpreise explodieren ( ), um ganze Länder zu destabilisieren‹.Es gebe keinen anderen Grund für die steigenden Lebensmittelpreise weltweit als Russlands Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen sowie Beschränkungen eigener Ausfuhren durch Moskau, so Blinken weiter. Russland handle aus ›politischen Gründen‹.«1 Vom gerade beendeten Aussenministergipfel der G20 in Bali berichtet ebenfalls die »Tagesschau«: »Laut Aussage westlicher Offizieller hatte US-Aussenminister Antony Blinken dem Russen zugerufen: ›Die Ukraine ist nicht euer Land. Ihr Getreide ist nicht euer Getreide.‹«2Stimmen diese Vorwürfe? Was sind Fakten, was sind Fake News? Was sind die Interessen der am Ukraine-Krieg beteiligten Parteien? Und – eine Frage, die in der besorgten Debatte gar nicht vorkommt – warum gibt es überhaupt soviel Hunger auf dieser Welt?

»Giftiger Cocktail«

Fangen wir mit dem Gegenstand der Vorwürfe an. Antony Blinken und Annalena Baerbock sorgen sich also öffentlich um die Hungernden. Man könnte denken, dass sie als wichtige Regierungsmitglieder der mächtigsten Wirtschaftsnationen auf der Welt reichlich Gelegenheit gehabt hätten, auf dieses Thema zu kommen und gegebenenfalls etwas zu unternehmen. Denn Menschen, die verhungern und unter den Folgen von Unterernährung leiden, gibt es natürlich nicht erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs.

Ein kurzer Klick hätte genügt: »Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen leiden rund 821 Millionen Menschen weltweit an Hunger (Stand 2017), also etwa jeder neunte (11 Prozent). Nach Angaben der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen; R. D.) ist die Zahl der Hungernden zwar von 1990 bis 2015 um 216 Millionen zurückgegangen, in den folgenden Jahren aber wieder signifikant gestiegen. An den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben mehr Menschen als an HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Jedes Jahr sterben laut dem ehemaligen UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler etwa 30 bis 40 Millionen Menschen an Hunger bzw. den unmittelbaren Folgen (Stand 2007).

Häufig sind Kinder unter fünf Jahren betroffen. Jedes siebte ist weltweit untergewichtig (Stand 2014) und jedes vierte ist chronisch unterernährt (Stand 2012). Unterernährung trägt jährlich und weltweit zum Tod von 3,1 Millionen Kindern unter fünf Jahren bei, was mehr als 45 Prozent aller Sterbefälle von Kindern unter fünf Jahren entspricht (Stand 2013). 98 Prozent der Hungernden leben in Entwicklungsländern (779,9 Millionen).«3 Für 2020 gibt die FAO die Zahl der Hungernden mit 768 Millionen an.4

Hunger und Unterernährung sind ein Dauerphänomen in der schönen »regelbasierten Weltordnung«, die Blinken und Baerbock so vehement gegen die Bedrohungen aus Russland und China verteidigen. Die Geschichte der Hungerkatastrophen in Südasien und Afrika will bekanntlich, allen »Milleniumszielen« zum Trotz, einfach nicht abreissen – ebensowenig wie die der Hilfe von »Brot für die Welt«, »Misereor« und allen anderen, für die der Bundespräsident am jährlichen »Welthungertag« (16. Oktober) zu Spenden aufruft.

Oxfam, eine der grossen Not- und Entwicklungshilfeorganisationen, teilt dazu mit: »Geschichte droht sich zu
wiederholen: Beim letzten G7-Gipfel in Elmau hatten sich die Staats- und Regierungschefs verpflichtet, die Zahl der Hungernden um 500 Millionen Menschen zu verringern. Doch passiert ist nichts. Statt dessen gibt es sieben Jahre später 335 Millionen mehr Hungernde auf der Welt, verbunden mit unermesslichem Leid. Wir brauchen jetzt dringend neue Ansätze, um die zugrunde liegenden Ursachen von Hunger wie wirtschaftliche Ungleichheit und die Klimakrise zu bekämpfen.«5

David Beasley, der Direktor des Welternährungsprogramms (WFP), wird mit den Worten zitiert: »Die aktuelle Hungerkrise ist ein ›giftiger Cocktail‹ aus Konflikten, Klimawandel, Katastrophen, struktureller Armut und Ungleichheit. Covid-19 hat alles noch schlimmer gemacht.« Laut Welternährungsprogramm wird eine globale Hungersnot dann ausgerufen, wenn Unterernährung weitverbreitet ist und Menschen an Hunger sterben, weil sie keinen Zugang zu ausreichender Nahrung haben. Menschen in 43 Ländern seien derzeit »am Rande einer Hungersnot und des Hungertods«, darunter Afghanistan, die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Haiti, Honduras, Südsudan, Sudan, Uganda, Venezuela, Jemen und Simbabwe. Um möglichst viele Leben zu retten, habe die Organisation einen Nahrungsmittelnothilfeplan aufgelegt.6 So der Chef des WFP im Jahr 2021(!), als er Elon Musk und Jeff Bezos aufforderte, je zwei Prozent ihres Vermögens für die Hungerhilfe zu spenden.

Offensichtlich geht es also um etwas anderes, wenn sich der US-Aussenminister und die deutsche Aussenministerin plötzlich dieses Themas annehmen.

In Moskaus »Geiselhaft«?

Betrachten wir zunächst die Vorwürfe gegen Russland. Russland ist inzwischen mit einem Anteil von 19 Prozent der grösste Weizenexporteur auf dem Weltmarkt. Das Land hat Ende März seine Exporte mit Hinweis auf die westlichen Sanktionen eingestellt. Baerbock hat das als »Fake News« bezeichnet. Und tatsächlich sind die Getreidelieferungen selbst von den Sanktionen der EU nicht betroffen. Allerdings fallen die Versicherungen für solche Transporte, das Einlaufen und Warten russischer Schiffe in ausländischen Häfen sowie die finanzielle Abwicklung unter die Sanktionen. Im Klartext heisst das: Russland dürfte liefern, kann aber nicht mit Sicherheit Geld dafür erwarten und müsste zudem befürchten, dass seine Schiffe beschlagnahmt werden.

Wenn Russland darauf reagiert und seine Exporte zunächst einmal eingestellt hat, wird ihm das Ausbleiben seiner Lieferungen – eine Folge der westlichen Sanktionen – als »gezielte Destabilisierung« vorgeworfen. Interessant daran ist, wie man sich in den massgeblichen westlichen Staaten Russlands Teilnahme am Weltmarkt vorstellt: Geld »für seinen Krieg« soll es natürlich nicht verdienen; andererseits soll es seinen Weizen zuverlässig liefern, damit das Mass an Stabilität, das der Westen für die Länder der sogenannten Dritten Welt vorsieht, gewährleistet bleibt und es nicht zu Aufständen oder neuen Fluchtwellen kommt.

Russland hat in dieser Frage Angebote gemacht: »›Die Russische Föderation ist bereit, zig Millionen Tonnen ihres Getreides über den Hafen von Noworossisk zu exportieren, aber dazu müssen die restriktiven Massnahmen des Westens aufgehoben werden.‹ Das teilte Alexej Polischtschuk, Direktor der zweiten Abteilung der GUS-Staaten des Aussenministeriums der Russischen Föderation, mit. ›Wir sprechen über ein Verbot der Einfahrt ausländischer Schiffe in russische Häfen, die Einfahrt und Wartung russischer Schiffe in ausländischen Häfen, eine Rückkehr zur Schifffahrtsversicherung, kostenlose Banküberweisungen‹, teilte der russische Diplomat die Details mit.«7 Diese Vorschläge sind auf EU-Seite bisher allerdings ins Leere gelaufen.

Nebenbei: Der derzeitige Vorsitzende der Afrikanischen Union, Senegals Präsident Macky Sall, hat sich sehr zum Unmut westlicher Politiker und Journalisten auf »Russlands Seite gestellt«: »AU-Präsident Macky Sall forderte jüngst die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen das Putin-Regime und rief die Regierung in Kiew zur Räumung der Minen auf, die von der Ukraine zum Schutz vor einem russischen Angriff im Schwarzen Meer verlegt worden waren. Sanktionen und Minen verhinderten den Export von Millionen Tonnen Getreide aus Russland und der Ukraine, sagte Sall: Sie würden aber zur Verhinderung von Hungersnöten und astronomisch steigender Getreidepreise in Afrika dringend gebraucht.«8

Die Exporte der Ukraine

Die Ukraine ist der siebtgrösste Exporteur von Weizen, also nicht ganz unwichtig. Sie hat 2021 16 Millionen Tonnen Weizen ausgeführt und dabei insbesondere Ägypten, Indonesien und Bangladesch beliefert. Allerdings gehen die Angaben über die Mengen, um die es zur Zeit noch geht (mehr als die Hälfte ihres Exportweizens hat die Ukraine bereits vor Kriegsbeginn ausgeführt), stark auseinander. So schreibt etwa das Handelsblatt: »Die Dimensionen sind gewaltig: In der Ukraine lagern derzeit rund 40 Millionen Tonnen Getreide, während in vielen Ländern der Welt Hungersnöte befürchtet werden. Gleichzeitig bereiten sich die ukrainischen Landwirte auf die Ernte vor.«9

Dazu eine Anmerkung: »Getreide« umfasst neben Weizen, der als sogenanntes Brotgetreide besondere Bedeutung für die unmittelbare Nahrungsmittelversorgung hat, auch noch andere Samen von Süssgräsern (Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer etc.) sowie Reis und Mais. Während hier suggeriert wird, dass rund 40 Millionen Tonnen Getreide für die Ausfuhr bereitstünden – also auch nichts mehr für die Selbstversorgung der Ukraine benötigt werde –, spricht selbst der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky von höchstens 20 Millionen Tonnen: »Vor dem Krieg hat die Ukraine etwa fünf Millionen Tonnen Getreide pro Monat exportiert. Jetzt ist das Gebiet der Seehäfen blockiert. Wir haben noch mindestens 20 Millionen Tonnen Altgetreide (also nicht nur Weizen! R. D.), das in diesem Frühjahr nicht exportiert werden konnte.«10 Das stellt für die weitere Produktion in der Ukraine auch deshalb ein Problem dar, weil die Silos nicht geräumt werden und damit für die neue Ernte nicht zur Verfügung stehen.

Halten wir fest: Die Ukraine hat in den letzten Jahren einen Teil des Weltweizenmarkts bestückt (2021: 8,5 Prozent). Allerdings werden die ukrainischen Lieferungen in ihrer Bedeutung für die Welternährung momentan stark übertrieben. Stellt man die Überlegungen oben in Rechnung, geht es um etwa zehn Millionen Tonnen Weizen (oder etwas mehr). Daran soll sich die Frage der aktuellen Hungerkatastrophe entscheiden? Das darf bezweifelt werden.

So umstritten wie die Menge, um die es gehen soll, sind die Gründe für den Exportausfall. Die Ukraine macht die Seeblockade russischer Schiffe verantwortlich, Russland nennt als Ursache umgekehrt die Verminung des Hafens von Odessa (es sollen auch eine ganze Menge ukrainischer Minen im Schwarzen Meer umherschwimmen, die den Schiffsverkehr gefährden). Beides trifft zu, denn beide Parteien operieren im Schwarzen Meer vor dem Hintergrund ihrer strategischen Interessen: Russland blockiert mit seiner Flotte Häfen, um den militärischen Nachschub der Ukraine über den Seeweg zu verhindern; umgekehrt hat die Ukraine den Hafen von Odessa vermint, damit Russland nicht vom Schwarzen Meer aus angreifen kann.

Neben den militärstrategischen sind auch finanzielle Interessen im Spiel. Russland will verhindern, dass sich die Ukraine durch den Verkauf des Getreides Geld beschafft, um damit Waffen zu kaufen. Umgekehrt haben die Ukraine und der Westen, der den ukrainischen Haushalt und die Waffenkäufe momentan finanziert, durchaus ein Interesse daran, dass diese Einnahmen erzielt werden – die Ukraine, weil sie dringend auf Devisen angewiesen ist, die westlichen Regierungen, um die Kosten ihrer Unterstützung für das Land zu senken.

Die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer wollen erstens, dass die Ukraine mit ihren Getreidelieferungen Geld verdient, zweitens wollen sie die militärische Blockade im Schwarzen Meer beenden, um auf diesem Weg mehr Nachschub an »schweren Waffen« zu bekommen. Dass sie Putin in diesem Fall als Verantwortlichen einer drohenden Hungerkatastrophe anklagen, soll der propagandistische Hebel dafür sein, Russland zur Aufhebung der Blockade im Schwarzen Meer zu bewegen.

Auch in der Blockadefrage gab es diplomatische Angebote der Russen zur sicheren Schwarzmeerdurchfahrt für ukrainische Getreidefrachter, die übrigens vom NATO-Mitglied Türkei mitverhandelt wurden. Zuletzt wiederholte der russische Aussenminister Sergej Lawrow diesbezügliche Angebote auf dem G20-Gipfel in Bali.¹¹ Auch daran, dass daraus bisher nichts geworden ist, wird deutlich, dass es um den Weizen und seine Weiterleitung an die angeblich in »Geiselhaft« genommene Welt offenbar weniger geht.

Erfolgreich spekuliert

Die Probleme der afrikanischen Staaten und der internationalen Hungerhilfe bestanden in den letzten Wochen und Monaten allerdings weniger darin, dass wirklich Weizen gefehlt hätte. Sie bestanden vielmehr darin, dass »sich« der Preis in nicht gekannte Höhen geschraubt hat. Der Weizenpreis wird an internationalen Warenterminbörsen gebildet, die zwei wichtigsten davon in Chicago und in Paris. Anfang Februar dieses Jahres lag der Weizenpreis in Paris bei etwa 265 Euro pro Tonne; am 24. Februar – also mit Kriegsbeginn – stieg er auf 422 Euro.¹²

Das ist eine Wirkung davon, dass Lebensmittel in unserer »regelbasierten Weltordnung« Geschäftsmittel sind – und damit auch Anlageobjekte des Finanzkapitals. Die Konsequenzen in diesem Fall: Ohne dass nur eine Tonne Weizen weniger exportiert worden war; ganz ohne Sanktionen gegen Russland (die kamen später) und ganz ohne den Beschluss Russlands, darauf seinerseits mit einem zumindest zeitweiligen Exportstopp zu antworten; ganz ohne Blockade des Schwarzen Meers von welcher Seite auch immer – der Preis für Weizen ist als Ergebnis einer Spekulation auf steigende Preise nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine innerhalb von Tagen enorm angestiegen.

Die Fachleute für die Vermehrung von Geld an den Warenterminbörsen haben den Kriegsbeginn ebenso wie einige ganz andere Parameter¹³ zum Anlass genommen, den Preis des Weizens spekulativ in die Höhe zu treiben und so innerhalb kürzester Zeit annähernd zu verdoppeln. Dabei nahmen sie, als gewiefte Kenner dessen, wie »es« eben so läuft im Kapitalismus, schon im Februar vorweg, was erst der Kriegsverlauf, die politischen Massnahmen der am Krieg direkt oder mittelbar Beteiligten und die verschiedenen Kapitalfraktionen zustande brachten; sie versuchen, mit Wetten auf die Preisentwicklung ein Extrageschäft zu machen – mit dem Effekt, dass der Preis tatsächlich in die Höhe schiesst.

Das also hat den Ankauf von Weizen für viele Länder, die darauf angewiesen sind, unerschwinglich gemacht; und das hat zur Konsequenz, dass die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen inzwischen in einigen afrikanischen Ländern die Rationen halbiert haben.14 Von diesen Gründen findet sich kein Wort bei Baerbock und Blinken, Politikern also, die diese Geschäftsordnung und ihre Werte entschieden gegen alle Angriffe verteidigen. Und auch keines in der deutschen Qualitätspresse, die lieber mit neuen herzzerreissenden Berichten über hungernde Kinder und ihre verzweifelten Mütter aufwartet – und dabei stets mit dem moralisch ausgestreckten Zeigefinger auf Russland deutet. Dabei kann sie sich darauf verlassen, dass sie ihre Behauptungen gar nicht weiter beweisen muss – es ist ja allseits bekannt, wer für alle gegenwärtigen Übel verantwortlich ist.

Inzwischen sind die Getreidepreise übrigens wieder deutlich gesunken. »Die Weizenpreise stürzten am Freitag

(1.7.2022) auf ein Niveau, das nicht mehr gesehen wurde, seit die russische Invasion in der Ukraine begann und die Getreidepreise in eine neue Dimension gestiegen waren. Der Markt hatte damals gewissermassen den Verlust der alten und neuen ukrainischen Ernte und deren Export von den blockierten Schwarzmeerhäfen eingepreist.« Jetzt hat »der Markt« also die Konsequenzen seines eigenen Handelns »gewissermassen« wieder ausgepreist (jedenfalls zu einem guten Teil) – nachdem der russische Aussenminister Lawrow und UN-Generalsekretär António Guterres eine Vereinbarung über die Lieferung von russischem Weizen und Düngemitteln getroffen haben.15 Dürfen die Hungernden also wieder hoffen? Fragt sich nur worauf – auf Vernunft in der Weltwirtschaft sicher nicht.

Haltlose Vorwürfe

Halten wir fest: Die zitierten Vorwürfe westlicher Politiker an Russland sind sachlich unwahr. Bezüglich der russischen Exporte unterschlagen sie die Wirkung der westlichen Sanktionen, während sie in bezug auf die ukrainischen die in Frage stehenden Weizenmengen und ihre Bedeutung nach oben aufblasen. Für die Blockade im Schwarzen Meer weisen sie die Verantwortung einseitig einer Kriegspartei zu. Die Bedeutung der Finanzspekulation an ihren (!) Börsen lassen sie schlicht ganz weg.

Und eine weitere, naheliegende Frage kommt in der gesamten öffentlichen Debatte gar nicht vor: die Frage danach, warum in dieser Welt eigentlich so viele Menschen an Hunger und Mangelernährung leiden.

Renate Dillmann

Fussnoten:

1 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/lebensmittel-baerbock-101.html

2 https://www.tagesschau.de/ausland/asien/g20-bali-lawrow-103.html

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Welthunger

4 https://www.fao.org/3/cb4474en/online/cb4474en.html#chapter-2_1

5 https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2022-06-28-historisches-versagen-g7-angesichts-multipler-krisen

6 https://www.agrarheute.com/management/finanzen/elon-musk-will-6-milliarden-hungerhilfe-spenden-bedingungen-586919

7 https://www.mk.ru/politics/2022/06/29/mid-rossii-prizval-zapad-otmenit-sankcii-radi-eksporta-zerna.html

8 https://www.fr.de/politik/wenn-weizen-zur-strategischen-waffe-wird-91606670.html

9 https://www.handelsblatt.com/politik/international/nahrungsmittelkrise-40-millionen-tonnen-getreide-lagern-in-der-ukraine-wie-der-weizen-aus-dem-land-kommen-soll/28333358.html

10 https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/gross-ernteausfall-ukraine-wirklich-fakten-593401

11 So Reinhard Lauterbach in junge Welt, 9./10. Juli 2022

12 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1293736/umfrage/taeglicher-preis-von-weizen/

13 Laut einer Agrar-Studie, die die FAZ (2.7.2022) zitiert, spielen im Jahr 2022 auch die Wetterbedingungen eine Rolle: »Zehn Millionen Tonnen fehlen allein durch den durch Trockenheit bedingten geringeren Aufwuchs auf den Feldern.« Ein weiterer Faktor sind westliche Sanktionen gegen Düngemittel aus Belarus, die 2021 erlassen und die im April 2022 auf Russland ausgedehnt wurden. https://www.heise.de/tp/features/Sanktionen-gegen-Russland-Die-Top-Ten-des-Scheiterns-7153896.html?seite=all »Russland und Belarus produzierten 2019 rund 37 Prozent des weltweit verwendeten Kalidüngers.« (Tomasz Konicz in: Konkret 7/2022)

14 https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-06/uno-afrika-hungersnot-essensrationen-geld

15 https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/getreidepreise-stuerzen-dramatisch-ab-weizen-faellt-vorkriegsniveau-595303

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