Der Willy-Brand-Kreis betont die These zum wiederholten Male (Berliner Zeitung 23./24.7.2022). Sie geht auf Darwins Evolutionstheorie zurück, dass die Fähigsten überleben. Vertrauen ist ein Grundprinzip biologischer Wesen, die sich in Herdenverbänden oder Schwarmgruppen der Vögel und Fische organisieren. Das Vertrauen zueinander sichert das Weiterleben.
Der Mensch als Herdenwesen einer Gemeinschaft bildet keine Ausnahme, ungeachtet dessen, dass der Herdencharakter nur zu bestimmten Anlässen bei Umzügen, Demonstrationen oder bei politischen Wahlen zu erkennen ist.
Die beiden Antipoden der gegenwärtigen Rivalitäten im Weltmaßstab um die Ukraine haben in ihrer geschichtlichen Odyssee das hohe Gut des Vertrauens mehrfach missachtet, aber letztlich als vernunftbegabte Wesen Lösungen für Entwicklungsetappen gefunden. Es waren nicht nur Einsichten in die Notwendigkeit, atomare Zerstörungen wie in Hiroschima oder Nagasaki künftig auszuschließen. Die atomaren und andere militärische Risiken haben sich in den 40 Jahren des Kalten Krieges potenziert. Menschliches Versagen kann nicht ausgeschlossen werden.
Das Vertrauen braucht Ergänzungen durch ein humanes Pflichtverhalten gegenüber der Gesellschaft und der globalen Welt, sowie durch Toleranz.
Auf diesem Weg hat das Vertrauen in der Vergangenheit Tore für neue Wege geöffnet. Als Beispiele mögen die Entschärfung der Kubakrise, die Abschlüsse einiger Abrüstungsvereinbarungen und die Unterzeichnung der Akte der KSZE dienen. Auch die ausgehandelten Dokumente von Minsk gingen in eine gute Richtung. Es waren die praktischen Fragen des Überlebens, die letztlich die Argumente für den Durchbruch lieferten. Verschiedene Gesprächsrunden (UNO, Vatikan, Staatengruppen) zur Lösung des Ukraine-Konflikts sind noch nicht beendet. Hintergründig laufen die Konfliktlinien zwischen den USA, als Anführer der gewinnorientierten G7 und ihres militärischen Armes der NATO, sowie dem neuen sozial orientierten Gesellschaftssystem des Sozialismus. Vertrauen ist letztlich eine stärkere menschliche Komponente als der hochgelobte Egoismus, der periodisch zu Fortschritten führt. Kriege und Krisen vernichten jedoch geschaffene Werte wieder. Die Toten nicht gerechnet.
Beide Antipoden der gegenwärtigen Konfliktsituation haben in ihren Anfangsphasen opferreiche Epochen hinter sich:
- Die Französische Revolution forderte in ihren internen Auseinandersetzungen der ersten Jahre zwischen den Jakobinern und Girondisten, sowie nach dem Eingreifen äußerer konservativer Mächte der Heiligen Allianz bis zur Festigung der Bürgerlichen Republik tausende Opfer.
Der vierte Stand der Abhängigen blieb auf seinem früheren unwürdigen Lebensniveau stehen. Die Etablierung der nordamerikanischen Republik im Kampf gegen die englische Monarchie und die internen Sezessionskriege waren nicht weniger opferreich. Die Vernichtung der Ureinwohner Nordamerikas und die Aufrechterhaltung des Sklavensystems in Nordamerika haben Blutspuren hinterlassen. Die nachfolgenden langen Jahre des bürgerlichen Systems waren von Rohstoffkriegen und der Ausweitung ihrer Einfluss-Sphären bis hin zum 1. und 2. Weltkrieg begleitet. Die Spaltung der eigenen Gesellschaft folgte als Konsequenz der Logik der Gewinnwirtschaft und des Kapitalwachstums. Positiv waren partielle Verbesserungen der Lebenslage der eigenen Abhängigen auf Kosten der Entwicklungsländer.
Differenzen zwischen Ländern der 3. Welt verursachten Rebellionen und schließlich historisch große Fluchtbewegungen. Die heilige Kuh des Wachstums von Wirtschaft, Banken und Fondsgesellschaften sowie das Konsumverhalten der Verbraucher veränderten das Weltklima.
Andauernde und unsinnige Werbe-Aktionen steigerten den zerstörerischen Verbrauch wertvoller Ressourcen, einschließlich Energie, der Länder.
Nicht zu vergessen ist auch der Missbrauch des Vertrauens der Bevölkerung durch die faschistische Plattform der bürgerlichen Ordnung bei der Vernichtung jüdischer Volksgruppen in Europa als angebliche Urheber von Elend und Unglück. Die Verunglimpfung von Völkern hat in Reden von Politikern und in Medien noch kein Ende gefunden.
Die konservative Antipode ist am Ende ihrer Gestaltungskraft. Sie verfügt mit ihrer Militärmacht noch über ein enormes Chaospotential und folgt strikt ihrer egoistischen Interessenlage. - Die 1917 entstanden Antipode einer sozialeren Gesellschaftsordnung unter Führung der bolschewistischen Partei in Russland hat gleichfalls in ihren Anfangsjahren große Opferzahlen an Menschenleben zu verantworten. Es waren die Jahre der Konterrevolution innerer und ausländischer Kräfte. Der Sozialismus hat in seinen praktischen Einführungsjahren zunächst viel Vertrauen verloren.
Seit dieser Zeit werden die Taten Stalins medial genutzt, um das neue Ordnungssystem in die Ecke des Bösen zu stellen. Anerkannte Historiker, beispielsweise Dr. Wladislaw Hedeler, sind nicht in der Lage, exakte Opferzahlen zu benennen (Helle Panke, 1996: Chronik der Planung, Inszenierung und Wirkung der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937, 1938). Die Neuorientierung des Eigentums wurde zum Schreckgespenst, mangels Aufklärung. Enteignungen gehören im kapitalistischen System zur Tagesordnung, wenn die Statistiken über die jährlichen 15 Tausend Konkurse in Deutschland und die wöchentlichen Börsenverluste beachtet werden.
Ungeachtet der Rufschädigung hat es das neue soziale System vermocht, den abhängigen Schichten der Gesellschaft ein würdigeres Leben zu verschaffen, sei es in der Grundversorgung, im Wohnungswesen, der Gesundheitsversorgung und der Bildung. Die Förderung der Wissenschaften, der Kultur und des Sports brachten für der Jugend ein gutes Lebensniveau. Das Vertrauen in die Politik muss jedoch mit praktisch erlebbaren Taten ständig neu errungen werden.
Die Volksrepublik China führt den praktischen Nachweis über den Erfolg der neuen Gesellschaftsordnung fort. Doch wird das Land gegenwärtig – bar jeden Vertrauens – ebenfalls in die Ecke des Bösen gestellt.
Auf der Suche nach globalen Alternativen bietet China ein Konzept der friedlichen Koexistenz zum gegenseitigen Nutzen und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Im friedlichen Wettbewerb wird kein Sieger angestrebt. Konflikte zwischen unterschiedlichen Ländern können vom Grundsatz her vermieden werden. Der Erfolg des Projekts der Neuen Seidenstraße ist herleitbar aus dem Konzept der Koexistenz. Fundamental anders steht an der Stelle der bisherigen Sieger-Lösung die Zusammenarbeit der Länder, das Konzept des würdigen Weiterlebens beider Partner. Die UNO hat das Konzept der friedlichen Koexistenz bereits in ihre Welterbeliste aufgenommen.
Es gehört zur makabren Logik der konservativen Antipode, dass China vom Präsidenten der USA und seinen Followern aus der EU öffentlich zum Feind Nr. 1 erklärt wird. Die Vertrauensgrundlagen zu China werden von der herrschenden Politik systematisch zerstört. Nicht die Erfolge des Landes zugunsten der Bewohner, der Jugend oder die Anstrengungen um das Klima stehen im Mittelpunkt öffentlicher Berichterstattung.
Die baldige Lösung des Ukraine-Konflikts benötigt dringend das gegenseitige Vertrauen der Antipoden. Der humanistisch gesinnte Homo Sapiens darf nicht versagen, auch nicht im Umgang mit der Volksrepublik China, sowie mit Alternativen in Lateinamerika, Afrika und Asien. Die Greta-Generation hat ein Anrecht auf eine lebbare Zukunft.
Das Vertrauen hat vom Anfang an ein festes Gerüst im Humanismus der menschlichen Gesellschaft.