Die Energiewende führt zu neuer Rohstoffabhängigkeit – diesmal bei Ressourcen, auf deren Lieferung China starken Einfluss hat. Das hemmt die westliche Eskalationsfreiheit.
Die deutsche Wirtschaft warnt vor einem Mangel an Rohstoffen für die Energiewende und vor neuer Energieabhängigkeit, diesmal nicht von Russland, sondern vom zweiten weltpolitischen Rivalen – von China. Zwar verringere die bevorstehende Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien die Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas und damit von Russland, heißt es in einer neuen Analyse der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Doch drohe bei den Rohstoffen, aus denen sich die Energiewende speise – etwa Lithium für Batterien sowie Seltene Erden für Elektromotoren oder Windräder –, eine Abhängigkeit von China. In einer neuen Studie, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und das Münchener ifo-Institut soeben publiziert haben, heißt es, bei sieben der neun Rohstoffe, die für moderne Schlüsseltechnologien zentrale Bedeutung besitzen, deren Verfügbarkeit jedoch als problematisch eingestuft werden müsse, zähle China zu den bedeutendsten Lieferanten. Die BAKS fordert staatliche Maßnahmen, darunter die Aufwertung des Wirtschafts- zum Rohstoffministerium und dessen intensive Kooperation mit dem BND.
Sanktionen statt Handelsregeln
Die wachsende Sorge der deutschen Industrie, künftig nicht ausreichend Rohstoffe für die Energiewende zur Verfügung haben, hat mehrere Ursachen. Eine besteht darin, dass der Umbau der Energieversorgung von fossilen auf erneuerbare Energien keine Abkehr vom Ressourcenverbrauch mit sich bringt, sondern lediglich eine Umstellung vom Konsum von Treibstoffen auf den Konsum von Bodenschätzen zur Herstellung etwa von Batterien, Solarzellen oder Windrädern. Bei einzelnen dieser Rohstoffe wird der Verbrauch weltweit schon in wenigen Jahren so stark steigen, dass er selbst bei einem raschen Ausbau der Förderanlagen nicht gedeckt werden kann. Wird schon allein dies die Konkurrenz auf dem Weltmarkt drastisch verschärfen, so kommt hinzu, dass sich die globalen Machtkämpfe zunehmend auf die Versorgung mit Ressourcen auswirken. „Die bisherige deutsche Rohstoffpolitik“ sei „für eine Welt konzipiert worden, in der die geltenden internationalen Handelsregeln durch alle Staaten weitgehend respektiert werden“, in der Rohstoffe also zuverlässig zu erwerben sind, heißt es in einem aktuellen Papier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).[1] Seit der Westen den freien Welthandel zunehmend mit Sanktionen aushebelt, ist dies nicht mehr der Fall.
Gescheiterte Rohstoffstrategien
Die BAKS weist in ihrem jüngsten Papier darauf hin, dass die Risiken bei der künftigen Rohstoffversorgung für die deutsche Industrie auch einem Scheitern der Rohstoffpolitik der Bundesregierung im vergangenen Jahrzehnt geschuldet sind. Die Bundesregierung hatte bereits im Jahr 2010 ihre erste explizite Rohstoffstrategie publiziert und im Laufe der Jahre eine Reihe an Maßnahmen zugunsten einer besseren Versorgung gestartet.[2] Sie reichten vom Aufbau sogenannter Kompetenzzentren für Bergbau und Rohstoffe in besonders ressourcenreichen Ländern über die Vergabe von Ressourcenkrediten bis zur Gründung mehrerer „Rohstoffpartnerschaften“ mit Ländern wie Kasachstan [3] oder Peru [4], die als besonders ressourcenreich gelten, nicht zuletzt bei kritischen Rohstoffen, etwa Seltenen Erden. Spezielle Erfolge konnten damit nicht erzielt werden; die Rohstoffpartnerschaft mit der Mongolei etwa wurde bereits vor Jahren offen als gescheitert eingestuft.[5] Vor allem aber hat es die Bundesrepublik nicht geschafft, deutsche Konzerne in nennenswertem Umfang zum Wiedereinstieg in die globale Rohstoffförderung zu veranlassen, aus der sie sich seit den 1990er Jahren systematisch verabschiedet hatte – der einfache Kauf von Ressourcen auf dem Weltmarkt schien damals günstiger.
Neun kritische Rohstoffe
In der vergangenen Woche haben der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und das Münchener ifo-Institut mit der Publikation einer neuen Untersuchung Alarm geschlagen. Die Studie untersucht die Abhängigkeit der Bundesrepublik von Rohstoffen, die für die Produktion moderner Schlüsseltechnologien unverzichtbar sind, darunter Batterien, Windturbinen, Elektromotoren sowie Photovoltaik- und Wasserstofftechnologien.[6] Wie es in der Untersuchung heißt, kann der Bezug diverser Rohstoffe als relativ unproblematisch gelten, weil diese nur für recht wenige Schlüsseltechnologien benötigt werden. Risiken bestehen demnach jedoch bei neun Bodenschätzen, die für viele Schlüsseltechnologien unverzichtbar sind und lediglich aus wenigen Staaten bezogen werden; dabei handelt es sich unter anderem um Seltene Erden, Lithium und Kobalt.[7] Die Autoren der Studie heben mit Nachdruck hervor, dass bei sieben dieser Rohstoffe China zu den fünf bedeutendsten Lieferanten weltweit gehört. Sie dringen darauf, die Lieferanten so schnell wie möglich zu diversifizieren. Zudem plädieren sie dafür, das Recycling zumindest der industriestrategisch wichtigsten Ressourcen erheblich intensiver als bisher zu fördern.
Seltene Erden
Als besonderer Risikofaktor gelten dabei seit geraumer Zeit die Seltenen Erden. Sie werden, wie es in der DIHK/ifo-Studie heißt, für eine Vielzahl von Schlüsseltechnologien benötigt, darunter Elektromotoren, Windräder und Brennstoffzellen, aber auch digitale Technologien, Roboter und Drohnen.[8] Die größten sinnvoll abbaubaren Vorkommen liegen laut der Studie in China (37 Prozent); jeweils 18 Prozent sind in Vietnam, in Brasilien und in Russland nachgewiesen. Bei der Produktion lag zuletzt China (58 Prozent) vorn – weit vor den USA (17 Prozent) sowie Myanmar (13 Prozent). Hinzu kommt, dass China auch bei der Extraktion der Seltenen Erden aus abgebauten Erzen den Weltmarkt mit gewaltigem Abstand dominiert; das wiederum führt dazu, dass auch die Bundesrepublik bei Seltenen Erden massiv von der Volksrepublik abhängig ist. Dies wiederum gilt mit Blick auf den eskalierenden Machtkampf des Westens gegen China als ein großes Risiko; die BAKS schreibt von „rohstoffbedingten Erpressbarkeiten“.[9] Als Ausweg gilt eine Umstellung auf neue Lieferanten. Die DIHK/ifo-Studie weist darauf hin, dass „Myanmar und Thailand große Produzenten“ seien und es in Vietnam „hohe, bisher ungenutzte Vorkommen“ gebe. Dort aufgebaut werden müssten langfristig freilich auch Anlagen zur Extraktion des Lithiums aus den Erzen.
„Von der Mine bis zum Mercedes“
Für die allgemeine Rohstoffpolitik der Bundesregierung schlägt die BAKS dreierlei vor. Zum einen solle Berlin „das Netz bestehender Rohstoffpartnerschaften“ ausbauen und die bereits bestehenden Rohstoffpartnerschaften „mit Leben … füllen“, zudem deutsche Konzerne in der Rohstoffförderung „politisch und finanziell langfristig unterstütz[en]“: „Das übergeordnete strategische Gesamtziel“ solle es sein, „industrielle europäische Rohstoff-Cluster aufzubauen, die … von der Mine bis zum Mercedes die Wertschöpfung… konzentrieren“.[10] Zum zweiten plädiert die BAKS dafür, das Bundeswirtschaftsministerium zum „Ministerium für Rohstofffragen“ aufzuwerten; damit verbunden sei eine dichte Kooperation nicht bloß mit der Industrie, sondern eventuell auch „mit dem Bundesnachrichtendienst, um Entwicklungen in rohstoffrelevanten Schlüsselländern … frühzeitig und dauerhaft intensiv beobachten zu können“. Alternativ könne „das Amt eines Staatssekretärs für Rohstofffragen geschaffen werden“. Drittens spricht sich die BAKS dafür aus, besonders wichtige Ressourcen wie Erdöl und Erdgas zu bevorraten, um „in Krisenzeiten … in bestimmten Mengen“ auf sie „zugreifen zu können“. Dazu sei etwa die Schaffung einer eigenen Bundesbehörde denkbar – so etwa eines „Bundesamtes für Rohstoffe“.
Besonders deutlich wird die neue Abhängigkeit von China beim Lithium. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
[1] Jakob Kullik: Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende: Warum Rohstoffsicherheit ein Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands werden sollte. BAKS-Arbeitspapiere 5/22. Berlin, Juni 2022.
[2] S. dazu Die neue deutsche Rohstoffstrategie.
[3] S. dazu Kampf um Rohstoffe (IV).
[4] S. dazu Rohstoff-Konflikte.
[5] Björn Müller: Lehrgeld in Ulan-Bator. taz.de 03.10.2019. S. auch Starke Präsenz, wenig Geschäfte.
[6] DIHK, ifo-Institut: Wie abhängig ist Deutschland von Rohstoffimporten? Eine Analyse für die Produktion von Schlüsseltechnologien. Berlin/München, Juni 2022.
[7] Die Studie nennt daneben noch Bor, Graphit, Magnesium, Niob, Silizium und Titan.
[8] DIHK, ifo-Institut: Wie abhängig ist Deutschland von Rohstoffimporten? Eine Analyse für die Produktion von Schlüsseltechnologien. Berlin/München, Juni 2022.
[9], [10] Jakob Kullik: Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende: Warum Rohstoffsicherheit ein Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands werden sollte. BAKS-Arbeitspapiere 5/22. Berlin, Juni 2022.