Politische und soziale Polarisierung entsteht aus Unterschieden. Dieses Problem prägt die zeitgenössische Politik zutiefst. In Großbritannien scheint sich nach dem Brexit und dem Coronavirus ein bösartiger Prozess zu vollziehen, bei dem die politischen Spaltungen zunehmen. Dieser Prozess verläuft parallel zum Anstieg fremdenfeindlicher Tendenzen in ganz Europa, da die Bevölkerung dem Fremden gegenüber immer feindseliger wird. Die algorithmische Natur der sozialen Medien verstärkt diese Trends und vergrößert die Kluft zwischen Kulturen, Weltanschauungen und politischen Präferenzen, da die Menschen in digitale Echokammern gedrängt werden.

Der Kernpunkt dieser Polarisierung ist also die Frage nach dem Unterschied und wie wir damit umgehen. Folglich ist eine politische Perspektive erforderlich, die theoretisch in der Lage ist, mit diesem Thema umzugehen: eine Philosophie, die die Differenz in den Mittelpunkt der menschlichen Erfahrung stellt und daher eine Sensibilität für die ihr innewohnende Komplexität, die Gefahren und das Potenzial kultiviert.

Als der Intellektuellenhistoriker Isaiah Berlin die Geschichte des politischen Denkens untersuchte, stellte er fest, dass sich ein gemeinsames Thema durch das Pantheon der großen Denkerinnen und Denker zieht: Viele von ihnen machten sich schuldig, „große Erzählungen“ zu entwickeln, in denen der moralische Wert einheitlich und einzigartig ist. Sie vertraten daher das, was Berlin ein „platonisches Ideal“ nannte, indem sie annahmen, dass es nur eine wahre Antwort auf politische Fragen gibt. Die Tendenz zu dieser Form des ethischen „Monismus“ ist verlockend. Wenn es nur einen Maßstab für das Gute gibt, gewinnen Entscheidungsfindung und Institutionenbildung eine arithmetische und wissenschaftliche Präzision: Die politisch Handelnden brauchen nur den allumfassenden normativen Maßstab zu konsultieren, um die „richtige“ Antwort auf scheinbar schwierige moralische Fragen zu finden. Ein dem Utilitarismus anhängende Person könnte zum Beispiel einfach analysieren, inwieweit eine Entscheidung das Vergnügen maximiert, und entsprechend vorgehen.

Berlins Problem mit solchen Theorien war, dass sie eine Einfachheit verraten, die der normativen Landschaft, in der wir leben, nicht gerecht wird. Für ihn waren die Werte vielfältig und völlig verschieden voneinander. Darüber hinaus waren sie oft inkommensurabel und kollidierten häufig im politischen Bereich. Freiheit und Gleichheit ließen sich nicht immer miteinander vereinbaren. Das Streben nach Gerechtigkeit könnte den Frieden behindern. Im Namen des einen Gutes zu handeln, bedeutet oft, ein anderes zu verraten.

Trotz der großen Erzählungen des politischen Denkens war der Wert in den Augen Berlins also plural. Dies zu akzeptieren, bedeutet, die „tragische“ Verfassung des politischen Lebens zu akzeptieren. Die Handelnden sind auf ewig dazu verdammt, zwischen völlig unterschiedlichen, aber gleichermaßen legitimen Werte zu wählen, für die es keinen gemeinsamen Maßstab gibt. Die Pluralität führt daher zu einer Zersplitterung, nicht nur zwischen den Individuen, sondern auch innerlich, da die Menschen durch ihre gleichzeitige Zugehörigkeit zu widersprüchlichen Wertesystemen zwangsläufig verwirrt werden. Dieses Dilemma erschwert auch die Konstruktion ultimativer Utopien, da die Architekturschaffenden kaum behaupten können, dass ihre Kompromisse einen „perfekten“ Endzustand darstellen. Berlin zufolge können wir bei der Auseinandersetzung mit dieser Art von politischen Fragen nur auf eine Form von respektablem Gleichgewicht hoffen, bei dem menschliches Leid und Widersprüche auf ein Minimum reduziert werden. Moralische Gewissheit und damit Vollkommenheit wird immer schwer zu erreichen sein.

Dieses Dilemma ist für Berlin jedoch kein Grund zur Niedergeschlagenheit, sondern ein Grund zum Feiern. Die Pluralität ist verantwortlich für die Vielfalt, die Farbe und den Geschmack der Menschheit. Im Gegensatz zu monistischen Werttheorien bedeutet sie, dass es mehrere Versionen des guten Lebens gibt, die gelebt werden können. Kunstschaffende, Anwaltspersonen und Feuerwehrleute zu sein, sind alle gleichermaßen legitime Berufe. Auf der Makroebene können Nationen und Generationen von Menschen sehr unterschiedliche, aber jeweils gültige soziokulturelle Wege einschlagen.

In der Tat kann nur die Anerkennung mehrerer lebensfähiger Formen des Selbstausdrucks vor äußerem Zwang zum Streben nach einem einzigen Gut schützen. Der Wertepluralismus ist daher notwendigerweise eng mit der Selbstbestimmung verbunden, da er vor aggressiven Formen der Bevormundung schützt, indem er ein Mindestmaß an Freiheit rechtfertigt, in dem der Einzelne frei ist, seine eigenen Interessen zu verfolgen. Alternativ dazu könnten monistische Werttheorien den Zwang erleichtern, indem sie den Akteuren die Möglichkeit geben, zu behaupten, dass sie besser in der Lage sind, den „perfekten“ Zustand eines anderen Individuums zu verwirklichen, eine Plattform, von der aus sie behaupten können, dass es gerechtfertigt ist, alle dafür notwendigen Schritte zu unternehmen.

Es überrascht daher nicht, dass Berlins Denken eine enge Beziehung zur liberalen Politik hat, da es politische Systeme zu unterstützen scheint, die das Gedeihen vielfältiger Formen der Selbstdarstellung garantieren und fördern. Diese Beziehung wird jedoch kompliziert, wenn die Prinzipien des Wertepluralismus auf nationaler oder internationaler Ebene angewandt werden. Wertepluralismus untergräbt neokoloniale Proklamationen oder Manöver von Gruppen, die versuchen, Zwang zu legitimieren, indem sie argumentieren, dass andere Gruppen einen vermeintlich von ihnen selbst priorisierten Wert erfolgreicher umsetzen sollten.

Obwohl Pluralität Disharmonie impliziert, muss sie nicht zwangsläufig zu einem gewaltsamen Konflikt führen. Wenn zwei Werte aufeinanderprallen, legt die Anerkennung ihrer jeweiligen Legitimität den Grundstein für Schlichtung, Zugeständnisse und Gespräche. Berlin plädierte daher für eine spezifische Form der wertpluralistischen Tugend, bei der die Akteure sich auf Formen der Umsetzung einlassen, um ihren normativen Horizont zu erweitern und die potenzielle Gültigkeit anderer Weltanschauungen anzuerkennen, auch wenn eine vollständige Übernahme solcher Ansichten nie erreicht werden kann.

Wertepluralität geht nicht naiv davon aus, dass grundlegende soziale und politische Unterschiede zwischen Völkern vollständig versöhnt oder in eine große Synthese integriert werden können. Indem sie die Unterschiede würdigt, strebt sie auch nicht nach einer solchen Homogenität. Indem sie jedoch dazu ermutigt, in Fällen von Unterschieden die gegenseitige Legitimität zu erkennen, legt sie den Grundstein für die Erleichterung der friedlichen Koexistenz in einer kulturell pluralistischen Welt. Indem sie diese Sensibilität kultiviert, lehnt eine wertepluralistische Politik die Art von Antagonismus ab, die die gegenwärtigen polarisierenden Tendenzen auf der ganzen Welt verschmutzt.

In diesem Sinne ist eine pluralistische Politik auch am ehesten in der Lage, die Etablierung einer „einzigen narrativen Stimme“ in den Medien und in der breiteren Kultur zu verhindern. Nur wenn akzeptiert wird, dass es eine Vielzahl von Standpunkten mit potenziell legitimen Grundlagen gibt, können sich Nachrichtensysteme entwickeln, in denen die Ausübung mehrerer solcher Stimmen gewährleistet ist. Aus einer wertepluralistischen Perspektive ist keine Person oder Gruppe automatisch besser geeignet, Geschichte zu schreiben oder über Nachrichten zu berichten als eine andere.

Berlins „Tragödie“ der Wertinkommensurabilität ist daher eine besondere. Sie zeigt, wie der Wertkonflikt der kollektiven politischen Erfahrung innewohnt. Außerdem schreibt sie moralische Schwierigkeiten auf eine Art und Weise in die Struktur der menschlichen Existenz ein, die Moral- und Politikphilosophinnen und -philosophen immer unzufrieden stellen wird. Aber seine größte Offenbarung ist, dass dies ein geringer Preis für die Lebendigkeit und Farbe ist, die nur eine solche Form der Existenz ermöglichen kann.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!