Indien ist ein Land der Vielfalt – des Klimas, der Pflanzen, der Nahrungs- und Landwirtschaftssysteme, der Sprachen und der Kleidung. Wir haben jedes Klima der Welt – die Wüste in Rajasthan, die halbtrockenen Gebiete des Dekkan, die reichen Küstenökosysteme, die Regenwälder der Westghats, die gemäßigte Zone und den dritten Pol im Himalaya.

Von Dr. Vandana Shiva

In jeder Region haben sich Landwirtschaftssysteme, Kulturpflanzen und Nahrungsmittel entwickelt, die an die Vielfalt der Natur und die unterschiedlichen lokalen Kulturen angepasst sind, die sich gemeinsam mit der Natur entwickelt haben.

In Rajasthan und dem Dekkan gab es Hirse, Hülsenfrüchte und Ölsaaten. Orissa und Chattisgarh sind die Vavilov-Zentren des Reises, in denen indigene Gemeinschaften mehr als 200.000 Reissorten entwickelt haben. Die Westghats gaben uns die Gewürze. Und der Himalaya schenkte uns Amarant, Buchweizen und eine Vielzahl anderer nahrhafter Pflanzen.

Indien ist heute mit einem Wassernotstand und einem Ernährungsnotstand konfrontiert. Die beiden Notlagen sind miteinander verbunden. Landwirtschaftssysteme, die uns die Nahrung rauben, rauben uns auch das Wasser. Agrarsysteme, die den Nährstoffkreislauf unterbrechen, tragen zu Unterernährung, Klimawandel und Wüstenbildung bei. Der Nährstoffkreislauf, der die organische Substanz im Boden wieder auffüllt, ist die Grundlage für die Aufrechterhaltung des Wasserkreislaufs. Beide Kreisläufe werden durch den selben ökologischen Prozess unterbrochen. Die Saat für die heutige Notlage wurde vor 40-50 Jahren mit den Ratschlägen der Weltbank und der Grünen Revolution gesät.

Die Grüne Revolution hat unser Wasser, unseren Boden und unsere Artenvielfalt zerstört. Reis- und Weizensorten der Grünen Revolution wurden dem Punjab aufgezwungen und zerstörten das fruchtbare Land durch chemische Monokulturen. An biologischer Vielfalt reiche Regionen – wie Orissa und Chattisgarh – wurden vernachlässigt.
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Diese Zwergsorten von Reis und Weizen tragen auf dreierlei Weise zum Wassernotstand bei.

Erstens sind die Sorten der Grünen Revolution durstige Sorten, die zehnmal mehr Wasser benötigen, um die gleiche Menge an Nahrungsmitteln zu produzieren.

Zweitens werden die Sorten der Grünen Revolution als Zwergsorten gezüchtet, um mehr Chemikalien aufnehmen zu können und das Problem des »Lagerns« (großflächiges Umknicken von Ackerfrüchten, insbesondere von Getreidesorten, Anm. d. Ü.) zu vermeiden, wenn Chemikalien auf einheimischen Sorten angewendet werden. Da Zwergsorten als Monokulturen angebaut werden, verstoßen die Sorten der Grünen Revolution gegen das Gesetz der Rückführung, auf dem die Nachhaltigkeit beruht. Sie geben keine organische Substanz an den Boden zurück und vermindern so die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern. Bereits 1 % organische Substanz im Boden kann bis zu 160.000 Liter pro Hektar speichern.

Drittens töten chemische Düngemittel, die in der chemischen Landwirtschaft verwendet werden, die Bodenorganismen ab, die einen lebendigen Boden schaffen. Der Boden beginnt zu veröden und muss immer häufiger bewässert werden, was zu einer tieferen Wasserkrise führt.

Die Lösung der Wasserkrise beginnt mit dem Anbau von wassersparenden, hochwüchsigen einheimischen Saatgutsorten, die durch ihr Stroh mehr Biomasse produzieren, die wir dann dem Boden wieder zuführen und so dem Naturgesetz der Rückführung folgen können. Einheimische Anbausysteme, die auf einheimischem Saatgut basieren, sind Wasserschutzsysteme, weil sie sowohl den Nährstoff- als auch den Wasserkreislauf aufrechterhalten und erneuern.

Anstatt anzuerkennen, dass der Anbau von wasserintensivem Reis in Monokulturen im Punjab die beiden lebenswichtigen ökologischen Kreisläufe der Natur unterbrochen hat, anstatt anzuerkennen, dass Nutzpflanzen in Ökosystemen angebaut werden sollten, an die sie ökologisch angepasst sind, und anstatt die biologische Vielfalt einheimischen Saatguts von Kulturpflanzen dort zu fördern, wo sie sich entwickelt haben und die chemische Landwirtschaft aufzugeben und auf biologische Landwirtschaft umzustellen, wird jetzt versucht, den Reis selbst zu kriminalisieren und unsere biologische Vielfalt und Kultur zu zerstören. Wir nennen Reis Akshat (was ganz, nicht gebrochen bedeutet) und Prana (Atem, der als lebensspendende Kraft und universelle Energie betrachtet wird, die uns Leben gibt). Dieser Angriff auf den Reis ist ein Angriff auf unsere Zivilisation und unser ökologisches Erbe.

Wie der Reis hat sich auch das Zuckerrohr – in Sanskrit IkSuka genannt – in Indien in der Ganges-Ebene entwickelt, wo es reichlich Wasser gibt.

Die Weltbank hat den Zuckerrohranbau in der halbtrockenen Dekkan-Region von Maharashtra anstelle der Hirse Jowar erzwungen. Die Dekkan-Region liegt im Regenschatten der Westghats und hat eine durchschnittliche Niederschlagsmenge von 600 mm. Aufgrund der Dekkan-Fallen gelangen jährlich nur 10 % der Niederschläge zur Wiederauffüllung in das Grundwasser. Die Hirse Jowar benötigt nur 250 mm und führt dem Boden außerdem große Mengen an organischen Stoffen zu, was die Bodenfeuchtigkeit erhöht. Zuckerrohr dagegen benötigt 2500 mm und hat zu Wassermangel und den ausgetrockneten Brunnen geführt, die jetzt im Fernsehen sind. Dies ist eine direkte Folge der schlecht durchdachten Weltbankpolitik, Zuckerrohr in einem wasserarmen Gebiet anzubauen.
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Teure Tröpfchen-Bewässerung, die 45.000 bis 75.000 Rupien pro Hektar kostet, wird den finanziellen Druck auf die Landwirte erhöhen und den zerstörten Wasserkreislauf nicht wiederherstellen. Wir müssen die Jowar-Hirse wieder einführen, um den Wassernotstand in Maharashtra zu beheben.

Die Grüne Revolution war weder grün, noch revolutionär. Sie war ein Projekt zur Kolonialisierung der indischen Ernährung und Landwirtschaft. Sie hat uns mit einer schweren Wasserkrise zurückgelassen. Angesichts der ökologischen und sozialen Notlage, in der wir uns befinden, brauchen wir eine echte Lebensmittel- und Wasserrevolution auf der Grundlage von einheimischem Saatgut für wasserschonende Nahrungspflanzen wie Desi-Weizen, Desi-Reis, Desi-Dal, Desi-Tilhan und Hirse, den vergessenen Nahrungsmitteln. Eine Landwirtschaft, die auf der Regenerierung der Bodenfruchtbarkeit und der Bodenfeuchtigkeit durch ökologischen Anbau basiert, kann sowohl den Ernährungs- als auch den Wassernotstand beseitigen. Sie ist auch eine Antwort auf den Klimawandel.

Dies ist unser Jaivik Kranti. Unsere Revolution für das Leben.

 

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!

Weitere Infos zur Autorin gibt es unter www.vandana-shiva.de

 

Der Originalartikel kann hier besucht werden