530 Jahre nach der fälschlicherweise so bezeichneten „Eroberung Amerikas“ haben wir nichts zu feiern als den Widerstand und die Rebellion der Pueblos Originarios.
Der 12.10. markiert den Beginn des Widerstands unserer Pueblos und Gemeinschaften gegen den größten Genozid in der Geschichte der Menschheit, gegen die Invasion, gegen die Eroberung, gegen die Enteignung unserer Länder und Territorien, gegen die Auslöschung unserer Institutionen und Sprachen, unserer Kultur und unserer Traditionen – mit anderen Worten: gegen den Tod, den der patriarchale Kapitalismus verursacht.Um dem Schmerz und der Wut unserer Pueblos etwas entgegenzusetzen, beschlossen die Zapatistas im vergangenen Jahr – während die EZLN anprangerte, dass „Chiapas am Rande des Bürgerkriegs“ stehe [1] –, den Atlantik zu überqueren, um das andere Europa zu erreichen, das ungehorsame Europa, das Europa von unten und links …, sie sagten: „Wir werden dem Anderen für seine*ihre Existenz danken. Um den Lehren zu danken, die seine*ihre Rebellion und sein*ihr Widerstand uns geschenkt haben. Um die versprochene Blume zu übergeben. Den Anderen zu umarmen und ihm*ihr ins Ohr zu sagen, er*sie sei nicht allein. Ihm*ihr zuzuflüstern, der Widerstand sei es wert; der Kampf, der Schmerz für die, die nicht mehr da sind; die Wut, dass der Verbrecher ungestraft bleibt; der Traum von einer Welt, die nicht perfekt ist – aber dennoch besser: eine Welt ohne Angst. Und auch und vor allem werden wir nach Komplizenschaft suchen … für das Leben.“ [2]
An diesem 12. Oktober war es 26 Jahre her, dass der Nationale Indigene Kongress [Congreso Nacional Indígena] gegründet wurde, das Haus der Pueblos Indígenas in Mexiko, ein Raum für Reflexion und Solidarität, den die EZLN begründet hat und in dem die Formen der Organisation, Vertretung und Entscheidungsfindung respektiert werden. Seit 530 Jahren ist der Kampf für das Leben unser gemeinsames Wort, und schon immer haben die schlechten Regierungen darauf mit dem Krieg gegen unsere Pueblos geantwortet. Aus diesem Grund erheben wir unsere Stimme und organisieren uns, um einen vollständigen Stopp der militärischen Einkesselung, der paramilitärischen Angriffe und der kriegerischen Aufstandsbekämpfung zu fordern, die sich gegen die EZLN und die zapatistischen Gemeinden richtet und gegen die Pueblos Originarios von Mexiko – durch Militarisierung und Paramilitarisierung, organisiertes Verbrechen, Megaprojekte des Todes und die Enteignung unserer Länder und Territorien.
Im vergangenen Jahr prangerte der CNI an, dass bis zu diesem Zeitpunkt bereits 33 Morde an seinen Mitgliedern, darunter sechs Frauen, sowie zwei Fälle von Verschwindenlassen dokumentiert worden waren; ein Jahr später sind diese Zahlen erheblich gestiegen, wobei der gemeinsame Nenner die Straflosigkeit ist.
In Mexiko gibt es schon seit jeher eklatante und systematische Verletzungen der individuellen und kollektiven Menschenrechte, die sich unter dem aktuellen 4T-Regime [3] noch verschlimmert haben. Morde, außergerichtliche Hinrichtungen und massenhaftes Verschwindenlassen sowie die Unterdrückung von Studierenden, Frauen, Campesin@s, Lehrer*innen, Arbeiter*innen, Jugendlichen, Verteidiger*innen der Menschenrechte und der Mutter Erde wie im Fall unseres Bruders Samir Flores Soberanes, Journalist*innen, Aktivist*innen und Pueblos Originarios halten an und nehmen weiter zu; das reicht von Schikanen, Belästigungen und Drohungen bis hin zu Enteignung, Vertreibung, Folter, politischer Haft, Verschwindenlassen, Mord, Femizid …
Es gibt unzählige Formen des Krieges, mit denen wir, die Pueblos von Mexiko, konfrontiert sind.
Wir wissen, dass dieses patriarchale und kapitalistische System uns auf diese Weise überall auf der Welt unterwerfen will, wie es derzeit in der Ukraine, in Afghanistan, im Nahen Osten, auf dem ganzen Planeten geschieht; aber wenn wir uns zusammenschließen und organisieren, können wir gemeinsam gegen den Krieg und gegen den Kapitalismus kämpfen.
Die schlechten Regierungen nutzen die Militarisierung, die Paramilitarisierung sowie Angriffe und Aggressionen des organisierten Verbrechens, um den Abbau von Mineralien und Kohlenwasserstoffen oder Megaprojekte des Todes wie den fälschlicherweise so bezeichneten Maya-Zug [Tren Maya], den Interozeanischen Korridor und das Integrale Projekt Morelos durchzusetzen; die Enteignung des Wassers ist auf dem gesamten mexikanischen Staatsgebiet praktisch institutionalisiert und Elemente der staatlichen Sicherheitskräfte werden zur Verteidigung transnationaler Unternehmen eingesetzt; die Verschmutzung von Flüssen, Grundwasser, Luft und Land nimmt weiter zu; und Bergbau, Drogenhandel, Holzeinschlag und Industrie werden priorisiert. Die Gemeinden, Pueblos und Organisationen prangern immer wieder an, dass die Durchsetzung von infrastrukturellen und extraktivistischen Projekten unter direkter Beteiligung der Nationalgarde erfolgt, was die Militarisierung des täglichen Lebens in vielen Regionen und indigenen Pueblos weiter verstärkt. Diese Situation ist nichts anderes als die endlose Fortführung der Kolonialisierung.
Erst neulich haben die Abgeordneten- und Senatskammern Gesetzesänderungen verabschiedet, mit denen die operative und administrative Kontrolle über die Nationalgarde an das Verteidigungsministerium (SEDENA) übertragen wird, obwohl dies gegen Artikel 21 der mexikanischen Verfassung verstößt. Und nun soll auch noch der Zeitraum, in dem Heer und Marine Aufgaben der öffentlichen Sicherheit übernehmen können, verlängert werden: nicht nur bis 2024 –wie es ursprünglich für die Stärkung der staatlichen und kommunalen Polizeikräfte vereinbart worden war – sondern bis 2028 und damit weit über die sechsjährige Amtszeit der aktuellen Regierung hinaus.
Diese Entscheidungen, wie sie der Vorarbeiter [4] Andrés Manuel López Obrador von der Exekutive aus angewiesen hat, stehen im Gegensatz zu seinen Wahlkampfversprechen, „die Armee in ihre Kasernen zurückzubringen“, und verschaffen den militärischen Kräften eine nie zuvor dagewesene Bedeutung und Präsenz im Leben des Landes – und das, obwohl sie die Menschenrechte der mexikanischen Bevölkerung systematisch verletzt haben und weiter verletzen, wie es die Massaker wie das vom 2. Oktober 1968, das vom 10. Juni 1971, der sogenannte schmutzige Krieg [guerra sucia], der vermeintliche Krieg gegen den Drogenhandel, von Calderón bis zum heutigen Tag, und das Verschwinden der 43 Studierenden aus Ayotzinapa mit der zentralen Beteiligung der mexikanischen Armee zeigen.
Aus all den genannten Gründen rufen wir gemäß der Vereinbarung der Erweiterten Versammlung der Comisión de Coordinación y Seguimiento des Indigenen Regierungsrats des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI-CIG) sowie der verschiedenen Organisationen, Netzwerke und Kollektive, die den Congreso Nacional Indígena begleiten, für den 12. Oktober 2022 je nach den jeweiligen Zeiten, Arten, Kalendern und Geografien auf zur …
GLOBALEN AKTION GEGEN DIE MILITARISIERUNG UND DEN KAPITALISTISCHEN UND PATRIARCHALEN KRIEG GEGEN DIE BEVÖLKERUNG MEXIKOS UND DER WELT, GEGEN DIE EZLN UND DIE ZAPATISTISCHEN GEMEINDEN UND GEGEN DIE PUEBLOS ORIGINARIOS VON MEXIKO.
Wir rufen die Bevölkerung Mexikos und der Welt, die sich gegen den Tod und das Vergessen zur Wehr setzen, die sozialen, zivilen und politischen Organisationen, die Sexta Nacional e Internacional, die Netzwerke des Widerstands und der Rebellion, die Unterzeichner*innen der Erklärung für das Leben auf den fünf Kontinenten, die Frauen und Männer guten Herzens dazu auf, dass wir gemeinsam unsere Stimme gegen den Krieg in Mexiko und der Welt erheben.
Fussnoten:
[1] Anm. d. Übers.: siehe https://enlacezapatista.ezln.org.mx/2021/09/20/chiapas-am-rande-eines-burgerkrieges/
[2] Anm. d. Übers.: siehe https://enlacezapatista.ezln.org.mx/2021/06/27/die-reise-fur-das-leben-wohin-gehen-wir/
[3] Anm. d. Übers.: 4T bezieht sich auf das politische Projekt der aktuellen Regierung zur Umgestaltung Mexikos, die sogenannte „Vierte Transformation“ .
[4] Anm. d. Übers.: Schon seit seinem Amtsantritt wird der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador von der EZLN als „neuer Vorarbeiter“ bezeichnet.