Marco Morosini für die Onlinezeitung Infosperber
Giorgia Meloni hat die italienischen Wahlen gewonnen. Doch an die Macht gekommen sind die alten männlichen Machthaber von früher.
Die Partei Fratelli d’Italia (FdI) hat mit 26 Prozent der Stimmen die italienischen Wahlen im September gewonnen. Der Sieg ihrer jungen Vorsitzenden Giorgia Meloni – nun die Regierungschefin – wird als Zeichen einer Vorherrschaft der drei italienischen Rechtsparteien und als ein Hauch von Weiblichkeit, Jugend und Neuheit gefeiert. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Die rechte Koalition ist nach wie vor in der Minderheit, der Frauenanteil im Parlament ist geringer geworden, das Durchschnittsalter um sechs Jahre höher. Dagegen ist die senile Männermacht gewachsen und eine dreissig Jahre alte Koalition, die bereits dreimal gescheitert ist, kommt wieder an der Macht – mit Hilfe der «Operation Meloni».
Die Koalition der drei rechten Parteien erhielt 44 Prozent der Stimmen, ihre Gegner 49 Prozent. Allerdings stellen nun die Rechten 352 der 600 Parlamentarier – wegen eines abstrusen Wahlgesetzes. Neu ist jedoch die Verschiebung der Stimmen innerhalb der Koalition, das heisst von der Lega (9 Prozent) und der Forza Italia (8 Prozent) zu den Fratelli d’Italia (26 Prozent).
1,3 Millionen Stimmzettel – das sind 4,5 Prozent! – waren leer oder ungültig. Von den gut 50 Millionen Wahlberechtigten stimmten effektiv nur knapp 15 Prozent für die Fratelli d’Italia und nur 25 Prozent für die Koalition der drei Rechten. Die meisten von ihnen haben keine Affinität zum Neofaschismus. Dennoch wird künftig die neofaschistische Mentalität in der parlamentarischen Mehrheit, der Regierung und dem staatlichen Fernsehen RAI mehr Einfluss nehmen – mit all seinen Auswirkungen auf die Gesetze, die Sprache, das Verhalten und die Kultur.
Wirklich eine gute Nachricht für Frauen?
Frau Meloni verlangt offiziell, im Maskulinum genannt zu werden: Der, nicht die «Presidente del Consiglio». Sie ist die einzige Frau unter den hochrangigen Mitgliedern der Fratelli d’Italia, einer Partei, die von einer patriarchalischen Mentalität («Gott, Vaterland, Familie») geprägt ist und deren Exekutive nur 5 Frauen unter den 24 Mitgliedern hat. Sie präsidiert die männlichste und patriarchalischste Partei Italiens. Ihre politischen Programme stellen sich gegen die positive Geschlechterdiskriminierung, das Recht auf ungehinderte Abtreibung, gegen «die LGBT-Lobby» und die «Gender-Ideologie». Die wichtigste Pflicht der Frauen sei es, viele Kinder zu bekommen, um der «demografischen Krise» entgegenzuwirken.
Im Vergleich zu 2018 stieg das Durchschnittsalter der gewählten Abgeordneten von 44 auf 50 Jahre. Die italienische Gerontokratie hat sich verschärft: 86, 81 und 75 Jahre alt sind Silvio Berlusconi, Umberto Bossi und Ignazio Benito La Russa. Die drei Männer stehen heute wieder im Rampenlicht des Parlaments, wo sie seit über dreissig Jahren sitzen. Wieder einmal ist Berlusconi im Senat und indirekt am Ruder. Er hat massgeblich zu Melonis Erfolg beigetragen. «Io ti ho creata», sagte er. Er weiss, dass seine letzte Chance, Staatspräsident zu werden, darin besteht, erneut «die Faschisten in die Regierung zu bringen», wie er gesagt hat. Diese sollen ihn im Gegenzug an die Spitze des Staates wählen.
Was ist neu an der alten Garde?
Die Koalition der drei Rechten ist zum vierten Mal an die Macht zurückgekehrt, nachdem sie seit 1994 bereits rund zehn Jahre unter Berlusconi regiert hatte. Die neue Regierung wird also eine Wiederherstellung des alten Regimes des Fernsehmagnaten sein, nur dass sie diesmal von den Fratelli d’Italia angeführt wird.
Die beiden Anführer der «Operation Meloni» sind der neue Senatspräsident Ignazio Benito La Russa und Guido Crosetto. Sie könnten der Grossvater und der Vater von Giorgia Meloni sein. Die beiden Männer haben die politische Kultur und die Erfahrung, die Meloni fehlt. Im Jahr 2012 gründeten sie die Fratelli d’Italia, eine Partei, die das Erbe des italienischen Neofaschismus versammelt.
Crosettos und La Russas persönliches Profil und ihre politischen Vorschläge hatten einen ranzigen Beigeschmack. Daher haben sie die damals 35-jährige Meloni listig in die Parteigründung einbezogen. Zunächst behielten sie den Parteivorsitz für zwei Jahre, aber sobald sie merkten, dass die schwächste Figur des Trios zu ihrem Trumpf werden könnte, zogen sie sich hinter die Kulissen zurück und schickten Meloni auf die Bühne.
Ein Foto von Meloni und Crosetto spricht eine deutliche Sprache. Es zeigt eine 35-jährige Meloni, die lächelnd in den Armen von Guido Crosetto liegt, einem sympathischen piemontesischen Kingkong. Er ist seit 35 Jahren in der Politik tätig und war 14 Jahre Mitglied des Parlaments. Vor allem aber leitete Crosetto eine Kriegswaffenfirma und den Kriegswaffenverband AIAD, war Unterstaatssekretär beim Verteidigungsminister, seinem Genossen La Russa, und ist jetzt selber Verteidigungsminister. Er wurde später Mitglied der Partei Berlusconis. Jovial und beliebt bei den Medien, aber auch bei seinen Gegnern, sind bei ihm keine faschistischen Ideen bekannt.
Der wichtigste Architekt der Partei ist der 75-jährige Senator Ignazio Benito La Russa, der Patriarch des italienischen Neofaschismus und seit einem halben Jahrhundert in der Politik. Er ist der Besitzer einer Anwaltskanzlei und das Oberhaupt einer Art sizilianischem «La-Russa-Clan», der seit Jahrzehnten wirtschaftliche und politische Macht miteinander verquickt. Sein Vater, Senator Antonino La Russa, ein ehemaliger Führer des «Partito Nazionale Fascista» von Benito Mussolini und seiner Nachfolgepartei «Movimento Sociale Italiano» (MSI), war ebenso Teil des Clans wie sein Bruder Romano La Russa, ein ehemaliges Mitglied der MSI und ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments.
La Russa repräsentiert die tiefen Wurzeln der Fratelli d’Italia. Auf den sozialen Medien zeigt er gerne seine Sammlung von Mussolinis Devotionalien. Seine Militanz begann 1971 in der MSI, der 1946 von Giorgio Almirante gegründeten Partei, einem ehemaligen faschistischen Führer, Nazi-Kollaborateur und Chefredakteur der Zeitung «La difesa della razza» («Die Verteidigung der Rasse»). La Russa unterstützte alle Regierungen von Silvio Berlusconi und war 2008 bis 2011 Verteidigungsminister.
Melonis Vergangenheit
Giorgia Meloni wurde 1977 in Rom geboren und schloss ihre Schulausbildung im Alter von achtzehn Jahren mit einem Abitur in Sprachen ab. Sie spricht in der Öffentlichkeit auf Spanisch, Englisch und Französisch, was für eine italienische Politikerin ein Novum ist. Sie ist nun «der Präsident», obwohl sie noch nie ein Unternehmen, eine Gemeinde, eine Provinz, eine Region oder ein wichtiges Ministerium geleitet hat. Während ihrer Kundgebungen schreit sie lauthals: «Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Christin!». Der Satz ist inzwischen legendär, eingehämmert in dem Rap-Video «Io sono Giorgia – Remix», das 13 Millionen Mal angeschaut wurde. «Giorgia» ist zu einer echten Marke geworden. Sogar auf dem Cover des Parteiprogramms ist ein verführerisches Porträt von ihr zu sehen, als wäre es ein Modemagazin. So ist es. Meloni ist im Wesentlichen «modisch». In Interviews über sie antworten die Leute in der Regel «Ich mag sie» und nicht «Ich stimme ihr zu».
In einem Land mit männlichen Voyeuren und einem nach Prominenten gierenden Publikum beruht der Erfolg von Meloni, einer jungen, blonden Frau, stark auf der Verbreitung von Fotos von ihr. Auch als frischgebackene Regierungschefin trägt sie nun in der Öffentlichkeit immer divenhaft breite Sonnenbrillen. Sie ist vom politischen Starlet zum «Regierungschef» eines G7-Landes geworden, muss sich aber noch etwas daran gewöhnen.
Das Italien der Zukunft gemäss Meloni
In den Debatten ist Meloni kämpferisch und überzeugend. Warum sollte man ihr nicht eine Chance geben? Einige Wahlversprechen sind allerdings alarmierend: Sie will eine aggressive Geburtenpolitik einführen, die von Abtreibungen abhält und diejenigen belohnt, die die meisten Kinder bekommen, sie will Folter als Straftatbestand abschaffen, weil es «die Beamten daran hindere, ihre Arbeit zu tun», sie möchte die chemische Kastration für bestimmte Gewalttäter einführen, gegen die «LGBT-Lobby» kämpfen, den Erwerb eines Waffenscheins erleichtern und Verteidigung generell für legitim erklären. Sie ist für Seeblockaden gegen illegale Einwanderer und für Sanktionen gegen Organisationen, die Schiffbrüchige retten. Sie behauptet auch, dass das internationale Recht vorschreibe, dass Schiffe, die dagegen verstossen, versenkt werden müssten.
Sie will auch das Bürgergeld abschaffen, das vier Millionen Armen, von denen viele laut Meloni «auf dem Sofa sitzen und kiffen», einen kleinen Lebensunterhalt bietet, die Steuern für die Reichsten senken. Schliesslich versprach die Koalition, eine «Flat tax von 15 Prozent». In Wirklichkeit würde der Steuersatz von 15 Prozent nur für den Teil des Einkommens gelten, der höher ist als in den letzten Jahren.
In Melonis nationalistisch angehauchten Reden gibt es Feindseligkeit gegenüber Migranten, Nomaden, Homosexuellen und Drogenabhängigen, Spott und Verunglimpfung von Gegnern, Toleranz gegenüber Polizeigewalt und bewaffneten Bürgern, die sich verteidigen und Kampf gegen «die Abweichung», wobei sie Fettleibigkeit einbezieht. Aber es gibt keinen Hinweis auf die ökologische Krise. Ihre Positionen sind in der neofaschistischen Mentalität verwurzelt, die Meloni geprägt hat. Daher ist es notwendig, einen Blick auf ihre Vergangenheit zu werfen.
Bereits in jungen Jahren
Meloni wuchs in einem Vorort von Rom auf. Ihr volkstümliches Zupacken und ihr starker römischer Akzent bewirken, dass sie als etwas wirklich Neues wahrgenommen wird, das sich von den Politikern unterscheidet, gegen die sie protestiert hat, denen sie aber dennoch seit dreissig Jahren zugehörig ist. Die 19-jährige Meloni sagte 1996 in einem Fernsehbericht von France 3: «Ich glaube, dass Mussolini ein guter Politiker war, das heisst alles, was er getan hat, hat er für Italien getan».
Während der Regierungsbildung ist Meloni fast völlig aus den Medien verschwunden. Sie hat die Anführer der «Operation Meloni» arbeiten lassen. Die extreme Rechte, die Italien regieren wird, stellt Worte wie «Vaterland», «Nation» und «italienischen Stolz» in den Vordergrund. Sie hat jedoch noch nicht geklärt, warum sie weiterhin die Verräter Italiens ehrt, die mit den Nazi-Invasoren kollaborierten und die Patrioten, die die Italiener verteidigten, töteten und folterten. Die beiden Perioden der rechten Hegemonie mit Mussolini und Berlusconi haben Italien geschadet und seinen Ruf beschädigt. Wenn Giorgia Meloni in der Lage ist, nun das Gegenteil zu tun, dann könnte sie vielleicht in ihren patriotischen Ambitionen glaubwürdiger werden.
Marco Morosini, der Autor dieses Artikels, ist Journalist bei der französischen Internet-Zeitung Mediapart. Der Artikel ist eine gekürzte Version der französischen Erstveröffentlichung auf Mediapart.