Sakine Cansız: Mein ganzes Leben war ein Kampf. Gefängnisjahre. Die Biographie offenbart, wie die kurdische Freiheitsbewegung auch im Knast weiterlebt.
Diese elf Jahre waren geprägt von unzähligen Prozessen, mehreren Fluchtversuchen, der Erfahrung des Verrats von ehemaligen Genoss*innen und nicht zuletzt von grausamer Folter. Die Beschreibung der konkreten Ereignisse in Cansız‘ Haft stellen ein historisch wertvolles und zumindest in deutscher Sprache sicherlich einmaliges Zeitdokument der türkischen Gefängnispolitik der 1980er Jahre dar.
Der Detailreichtum und die Nennung unzähliger Namen können eine*n Leser*in ohne ausführliche Kenntnis der PKK-Geschichte dabei schnell überfordern. Wird das Buch aber weniger mit einem Blick auf die historischen Fakten gelesen, sondern mit einem Fokus auf die persönlichen Reflexionen der vielfältigen Widerstandsformen, so treten viele universelle Erkenntnisse über den Umgang mit Knästen und anderen Arten der politischen Repression zu Tage.
Kollektiver Widerstand
Zunächst einmal sei hier die kollektive Organisierung unter den stark begrenzten Möglichkeiten innerhalb der Gefängnisse genannt. Auch bedingt durch die Vielzahl von inhaftierten PKK-Aktivist*innen, war Cansız nie dauerhaft zu vollständiger Isolation verdammt. So war es den Gefangenen möglich, eigene gefängnisinterne Strukturen aufzubauen. Diese dienten einerseits der Durchsetzung von besseren Haftbedingungen (etwa durch landesweit koordinierte Hungerstreiks) und andererseits der Fortführung der politischen Arbeit. Zwar wurden diese Strukturen vom türkischen Staat – mittels der Verlegung einzelner Häftlinge – kontinuierlich versucht zu zerstören; aber eben auch immer wieder durch die unermüdlichen Organisierungsbestrebungen der PKKler*innen neu aufgebaut.
Nicht minder wichtig für den elf Jahre aufrecht gehaltenen Widerstand von Sakine Cansız war der ständige Kontakt nach aussen. Die eingeschmuggelten Parteianalysen und rausgeschmuggelten Berichte über die Vorgänge innerhalb der Gefängnismauern vermittelten dabei stets ein Gefühl der Zugehörigkeit und liessen die Vereinzelungs- und Spaltungsversuche der Gefängnisleitungen ins Leere laufen. Und ohne Material und Werkzeug von aussen wären auch die damals zahlreichen, im Fall von Cansız aber leider knapp gescheiterten Tunnelgrabungen undenkbar gewesen.
Ein weiterer wichtiger Effekt dieses Aussenkontakts war die Mobilisierung der häufig entpolitisierten kurdischen Bevölkerung. Viele Familien sind erst durch die Konfrontation mit der entwürdigenden Behandlung ihrer Angehörigen zu einem politischen Bewusstsein über ihre kolonisierte Lebensrealität gelangt.
Individueller Widerstand
Dass diese Formen des kollektiven Widerstands zwar eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung für das psychische Überleben von Gefangenen ist, zeigt das Schicksal vieler Weggefährt*innen von Sakine Cansız: Unzählige Aktivist*innen konnten dem seelischen Druck sowie den körperlichen Qualen nicht standhalten. Sie liefen entweder zum Feind über oder verfielen einer Apathie, die nicht selten auch zum physischen Tod führte. Im dritten Band der Biographie von Cansız wird darüber hinaus deutlich – und auch das dürfte eine universelle Erfahrung von Häftlingen sein –, dass selbst nach einer überstandenen Gefangenschaft die erlittenen Verletzungen als nahezu unüberwindliches Hindernis bei der Reintegration in ein freies Leben erscheinen können.
Sakine Cansız konnte den Kampf während und nach ihrer Haft gewinnen, ohne auch nur einen Zentimeter von ihren Idealen abzurücken. Zweifellos hatte ihr starker Wille und ihre widerständige Persönlichkeit einen erheblichen Anteil an diesem Sieg.
Unabhängig davon lassen sich aus ihren Beschreibungen aber auch ganz allgemeine Strategien gewinnen, die auch in anderen Kontexten als Inspiration für den Umgang mit staatlicher Gewalt nützlich sein können. So begegnete Cansız den Polizist*innen und Justizbeamt*innen stets mit einer selbstbewussten Haltung. Sie hat ihre politischen Überzeugungen nie verborgen und sich konsequent zu ihrer revolutionären Identität bekannt. Diese renitente, aber dennoch kontrollierte Art – sie wurde nicht beleidigend, aber auch nie unterwürfig – hat ihr selbst bei den hasserfülltesten Folterern einen gewissen Respekt eingebracht und ihr im fremdbestimmten Knastleben ein Restgefühl der Autonomie bewahrt.
Auch Selbstdisziplin – im Sinne von bestmöglicher Ordnung und Hygiene, regelmässigem Sport oder festen Zeiten für Schreibarbeit – wird von ihr als Methode gegen die drohende und vom Staat strategisch anvisierte geistige Verwahrlosung beschrieben.
Deutsche Zensur
Fernab vom Eintauchen in das Leben einer aussergewöhnlichen Frau lohnt sich ein Blick in die Biographie auch deshalb, um einen Eindruck zu bekommen, vor welchen Inhalten der deutsche Staat sich fürchtet. Über den Umweg des Vereinsgesetzes hat Bundesinnenminister Horst Seehofer 2019 den Mezopotamien Verlag, der neben kurdischen Sprach- und Kinderbüchern auch die Biographie von Sakine Cansız publiziert hat, verboten und mehrere LKW-Ladungen Bücher beschlagnahmen lassen. Diese politisch motivierte Zensur von strafrechtlich nicht relevanten Veröffentlichungen dürfte in der Geschichte der BRD (zumindest in dieser Dimension) einmalig sein.
In einer solidarischen Reaktion hierauf haben sich die deutschsprachigen Verlage Mandelbaum, Unrast und edition 8 zusammengeschlossen und unter dem Titel Edition Mezopotamya Teile des Verlagsprogramms neu herausgegeben. Auch die Lebens- und Kampfgeschichte von Sakine Cansız ist seitdem wieder für die kritische Öffentlichkeit zugänglich.
Sakine Cansız: Mein ganzes Leben war ein Kampf – Bd. 2. Gefängnisjahre. Unrast Verlag, Münster 2019. 492 Seiten, ca. SFr 24.00, ISBN 978-3-89771-862-3