Die Ermordung von Umweltschützer*innen hat einen neuen Höchststand erreicht. In ihrem aktuellen Bericht zählt die Nichtregierungsorganisation Global Witness im Jahr 2020 weltweit 227 Opfer, die meisten davon in Kolumbien und Mexiko.
Fast drei Viertel aller Taten geschahen in Lateinamerika. Allein in Kolumbien waren es 65, was nahezu einem Drittel aller Morde entspricht und das Land bereits das zweite Jahr in Folge zum gefährlichsten Ort für Umweltaktivist*innen weltweit macht. Weitere Länder mit einer hohen Zahl registrierter Fälle sind Mexiko (30), die Philippinen (29), Brasilien (20) und Honduras (17). Die lateinamerikanischen Länder Guatemala (13), Nicaragua (12), Peru (6), Costa Rica (1) und Argentinien (1) sind ebenfalls Teil des Berichts.
„Die Umweltschützer*innen sind unsere letzte Verteidigungslinie gegen den Klimakollaps. Dass Menschen auch nach Jahren der Gewalt weiterhin für ihre Heimat, für unseren Planeten kämpfen, ist ein Grund zur Freude. Denn in jedem widerständigen Akt gegen den Diebstahl und den Aufkauf von Land durch große Unternehmen, gegen Verschmutzung und Umweltkatastrophen steckt auch die Hoffnung, dass wir die Krise aufhalten und lernen können, im Einklang mit der Natur zu leben. Bis dies der Fall ist, wird allerdings auch die Gewalt weitergehen“, heißt es im Bericht von Global Witness.
Bedrohung für Waldschützer*innen
Mehr als ein Drittel der Angriffe auf Aktivist*innen stehen in Zusammenhang mit der Ausbeutung von Ressourcen wie der Holzgewinnung, dem Bergbau und der Ausweitung der Agrarindustrie sowie der Errichtung von Staudämmen und anderer Infrastruktur.
Die Holzindustrie ist hier der Bereich, mit dem die meisten Tötungsdelikte (23) in Verbindung gebracht werden. Davon geschahen allein neun in Mexiko, was einen deutlichen Anstieg in dem Land darstellt. Fast drei Viertel der in Brasilien und Peru registrierten Fälle ereigneten sich in den Amazonasregionen der beiden Länder. Wenn Aktivist*innen zu Opfern wurden, weil sie für den Erhalt bestimmter Ökosysteme gekämpft haben, ging es in 71 Prozent der Fälle um den Schutz von Wäldern vor Abholzung und industrieller Entwicklung.
Indigene und Frauen besonders stark betroffen
Mehr als ein Drittel der registrierten Fälle waren Angriffe auf Indigene. Eine unverhältnismäßig hohe Zahl, denn diese machen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Ein Beispiel aus Mexiko, wo die Fallzahl im vergangenen Jahr um 67 Prozent gestiegen ist: Die indigene Gemeinschaft der Kumeyaay protestierte in Südkalifornien gegen die Abzweigung der regionalen Wasservorräte durch ein Brauereiunternehmen. Der Anführer des Protests, Oscar Eyraud, wurde im September 2020 erschossen. Bei fünf von sieben im Bericht als Massenmord klassifizierten Delikten waren indigene Gruppen betroffen.
Wie auch in den vorhergehenden Jahren waren fast neun von zehn Todesopfern Männer. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Umweltaktivistinnen weniger gefährlich leben. Sie erfahren genderspezifische und somit auch sexuelle Gewalt. Ohnehin ist der Alltag dieser Frauen von zwei Konflikten geprägt: dem öffentlich sichtbaren Kampf für den Umweltschutz, den sie aber oft nur führen können, nachdem sie sich das Recht dazu innerhalb ihrer Gemeinschaften – und unbemerkt von der Öffentlichkeit – erstritten haben.
Die Verantwortung der Unternehmen
In der von Global Witness seit 2012 geführten Statistik ist in den vergangenen drei Jahren ein deutlicher Anstieg der Mordfälle zu beobachten (167 in 2018 und 212 in 2019). Der Bericht für das Jahr 2020 trägt die Überschrift „Die Klimakrise verursachende Industrien und Angriffe auf Umweltschützer*innen“. Die Sektoren, mit denen die meisten Mordfälle in Verbindung stehen, sind die Holzindustrie (23 Fälle), der Bau von Staudämmen (20), die Agrarindustrie (17) und der Bergbau (17). „Das Verlangen nach größtmöglichem Profit, (…) nach möglichst geringen Kosten führt anscheinend zu der Ansicht, dass alle, die sich dem in den Weg stellen, verschwinden müssen“, schreibt der US-amerikanische Umweltschützer Bill McKibben im Vorwort.
Die mächtigen Unternehmen treiben somit nicht nur die Klimakrise, sondern auch die Tötung von Aktivist*innen voran. In vielen Ländern, in denen reiche natürliche Ressourcen und gleichzeitig eine für das Klima wichtige Biodiversität vorkommen, operieren Unternehmen oftmals straffrei. Wenn die Machtverhältnisse zugunsten der Konzerne ausgerichtet sind, wird kaum jemand für einen Mord an Aktivist*innen zur Rechenschaft gezogen. Und falls es doch dazu kommt, sind die Angeklagten diejenigen, die den Abzug gedrückt oder die Waffen bereit gestellt haben, nicht jedoch diejenigen, die im Hintergrund direkt oder indirekt in die Verbrechen verwickelt sind.
Die Regierungen sollten die Gewalt aufhalten
Global Witness kommt zu dem Schluss, dass die Regierungen der im Bericht genannten Länder versuchen, sich der Verantwortung zu entziehen und einer ihrer Kernaufgaben, der Wahrung von Menschenrechten, nicht nachkommen. Zum Teil seien es sogar die Regierungen selbst, von denen die Gewalt ausgeht. In anderen Fällen wird zumindest eine Komplizenschaft von Regierungen und Unternehmen vermutet. Die Situation hat sich im vergangenen Jahr noch verschlimmert, als viele Staaten die Corona-Pandemie genutzt haben, um harte Maßnahmen zur Kontrolle ihrer Bürger*innen durchzusetzen und der Zivilgesellschaft weniger Raum zu geben.
Empfehlungen
Global Witness spricht sich dafür aus, dass die Vereinten Nationen das „Recht auf eine gesunde Umwelt formal anerkennen.“ Dies würde eine eklatante Lücke in der Gestaltung internationaler Menschenrechte füllen. Dabei sollte die Organisation sicherstellen, dass auch bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens Menschenrechte eingehalten werden. Weiterhin sollten alle Empfehlungen der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen und der Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte umgesetzt werden.
Auf nationaler Ebene fordert Global Witness alle Staaten auf, Aktivist*innen zu schützen, indem sie solide Umweltschutzgesetze erlassen und Gesetze, die Aktivismus kriminalisieren, für nichtig erklären. Für Unternehmen sollten sie eine Sorgfaltspflicht einführen, die in den globalen Geschäftsbeziehungen die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz garantiert. Zusätzlich sei die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung der Gewalttaten notwendig.
Übersetzung: Patrick Schütz