Im ÖGB-Haus in Wien diskutierten am Dienstagabend Vertreter*innen von Amnesty International, Gewerkschaft und Profifußball über die arbeits- und menschenrechtliche Lage in Katar. Es sei – ein Jahr vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer – schon einiges erreicht worden, so der Tenor. Das dürfe aber nicht das Ende der Fahnenstange sein: Vor allem während und nach der WM müsse die Lage in Katar im Blick behalten werden. Einen Boykott halten die Diskutant*innen für nicht zielführend.
Von Moritz Ettlinger
In etwas mehr als einem Jahr soll es soweit sein: Die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar beginnt. Die Vorfreude vieler Fans auf das größte Sportereignis der Welt wird dieses Mal aber getrübt; vor allem durch die menschenrechtliche Lage im Wüstenstaat.
Mehrere tausend Menschen sollen seit der WM-Vergabe im Jahr 2010 auf den Baustellen ums Leben gekommen sein, der britische Guardian schrieb im Februar diesen Jahres von über 6.500 Toten. Die Arbeitsbedingungen sind teils katastrophal, Löhne werden monatelang nicht bezahlt, Pässe von den Arbeitgebern einbehalten.
Homosexualität steht unter Strafe, Frauen haben weit weniger Rechte als Männer und von einer echten Meinungs- und Pressefreiheit zu sprechen wäre maßlos übertrieben. Die Gesetze in Katar basieren auf der Scharia, Religionsfreiheit ist dementsprechend nur ein frommer Wunsch, auf Blasphemie stehen mehrere Jahre Haft.
Kurz: Katar war bei der Vergabe der WM durch die FIFA im Jahr 2010 eine repressive Autokratie und ist es auch heute noch. Keine allzu guten Voraussetzungen also, um mit reinem Gewissen auf die kommende Weltmeisterschaft hin fiebern zu können.
Doch wie sieht die Lage im Wüstenstaat aktuell aus? Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen Jahren ergeben? Und was muss jetzt und in Zukunft passieren?
Thesen und Temperamente im ÖGB-Catamaran
Darüber diskutierten am Dienstagabend Vertreter*innen von Amnesty International, Gewerkschaft und Profifußball anlässlich des Welttags für menschenwürdige Arbeit (7.10.) in der Zentrale des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) im zweiten Wiener Gemeindebezirk.
Der Einladung von weltumspannend arbeiten, dem entwicklungspolitischen Verein im ÖGB, gefolgt waren Annemarie Schlack, Geschäftsführerin der Menschrechtsorganisation Amnesty International Austria, Christian Fölzer von der Gewerkschaft Bau-Holz sowie der ehemalige österreichischen Fußball-Nationalspieler Paul Scharner.
Nach eröffnenden Worten von Thomas Kattnig, dem stellvertretende Vorsitzenden von weltumspannend arbeiten, ging es mit einem Impulsreferat per Video von Tim Noonan, Direktor für Kampagnen und Kommunikation des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), los, der über die Rolle des IGB hinsichtlich besserer Arbeitsbedingungen in Katar berichtete.
„Die FIFA hat sich abgeputzt“
Danach startete mit der Podiumsdiskussion der Höhepunkt des Abend, geleitet von ORF-Moderatorin Karoline Rath-Zobernig. Gleich zu Beginn verwies Annemarie Schlack darauf, dass sich seit der WM-Vergabe 2010 einiges getan habe – sowohl in Katar selbst als auch bei der FIFA und in Bezug auf die Wahrnehmung des Themas in der Bevölkerung.
Aber: „Die FIFA hat sich da abgeputzt.“ Denn bei der Kontrolle der neuen Richtlinien und Gesetze habe sich der Weltverband auf katarische Behörden verlassen und keine unabhängigen Untersuchungen veranlasst. Und generell gilt: „Das, was auf dem Papier steht, unterscheidet sich von der Realität dort gravierend.“
Teile dieser Kontrollaufgaben hätten die Gewerkschaften übernommen, erklärte Christian Fölzer: „Wir sind diejenigen, die schauen, dass es in Katar auf der Baustelle menschenwürdig zugeht.“ Auch er unterstrich die Diskrepanz zwischen Änderungen auf dem Papier und den tatsächlichen Arbeitsbedingungen vor Ort. Man sei zwar auf dem richtigen Weg, jedoch noch lange nicht am Ende.
Für Paul Scharner blieb im Hinblick auf die WM vor allem eine Frage offen: „Bekommen die 6.500 Todesfälle Aufmerksamkeit? Weil auf ihren Leichen wird Fußball gespielt“. Er wünsche sich hier eine Aktion der FIFA um auch während des Turniers nicht auf die hohen Kosten für dieses Turnier zu vergessen.
„Moderne Gladiatoren“
Ob man dabei auf die Fußballer selbst zählen kann, ist fraglich. Scharner kritisierte die Spieler scharf, sieht sie allerdings auch als Teil eines Systems, das kritische Meinungen gar nicht zulassen würde: „Die Spieler, die modernen Gladiatoren, werden leider nicht zu mündigen Spielern entwickelt. Man muss im System mitmachen, und wenn man zuviel sagt kommt man in Teufels Küche. Man sieht es ja: Wie viele aktive Spieler melden sich wirklich und bleiben auf dem Thema drauf?“
Langsam würden sich zwar Veränderungen zeigen, aber der Fußball sei eben ein „extrem kommerzialisierter Bereich, man schaut nicht nach links, rechts, oder zurück, geschweige denn zu weit nach vorne, sondern man melkt die Kuh, solange sie zu melken ist.“ Bewusstseinsbildung, vor allem bei jungen Spielern, sei gefragt, so Scharner.
„Den Elfer nutzen“
Zum viel diskutierten Thema „Boykott“ hat Annemarie Schlack eine klare Position: „Wir haben beschlossen, dass wir den öffentlichen Druck, den wir aufbauen können, gut nutzen, damit kleine Schritte passieren.“ Deshalb rufe sie bzw. Amnesty International als Ganzes nicht zum Boykott der WM auf.
Auch Christian Fölzer erteilte einem Boykott eine Absage: „Gegen das Fußballspielen haben wir nichts. Aber gegen die Menschenrechtsverletzungen und gegen die Todesfälle.“ Und dagegen müsse auch weiterhin die Stimme erhoben werden. Denn dass nach dem Turnier wieder alles zum Alten zurückkehre, dass wolle niemand.
Das ist für die Menschenrechtlerin ebenfalls der springende Punkt: „Wir möchten, dass auch nach der WM der Fokus dableibt und sich die FIFA langfristig überlegt, was das für die nächste Vergabe heißt?“ Die Gelegenheit dazu sei da: „Diesen Elfer, diese hundertprozentige Chance, wirklich langfristige Strukturen zu verändern, die müssen wir nutzen“.
Kundgebung am Nachmittag
Die Diskussion im ÖGB-Catamaran war nicht die einzige Veranstaltung, die am Dienstag in Wien zu diesem Thema stattfand. Schon am Nachmittag versammelten sich Amnesty International und weltumspannend arbeiten vor der katarischen Botschaft in Wien und äußerten ihren Unmut über die Lage im Emirat.
Lautstark forderten die Demonstrant*innen gerechte Arbeitsbedingungen in Katar und skandierten „Love Football. Fight for Human Rights“. Ein paar Eindrücke von der Kundgebung am Schottenring: