Fehleinschätzungen in Sachen Glasnost und Perestroika sowie der geplatzte Traum eines gemeinsamen Hauses Europa bei Michail Gorbatschow, ein williger Boris Jelzin, der in der postsowjetischen Ära sowohl der Privatisierung als auch der Oligarchie die Türen und Tore Russlands öffnete und ein Präsident Wladimir Putin, der Kooperation mit dem Westen erhoffte, für sein Anliegen Applaus bekam und doch Ablehnung erfuhr (1, 2, 3).
Der Rote Planet #004: Die neue Weltordnung – Russland, Hauptfeind Nr. 2 (Teil 1)
Damit sind zwar die letzten 30 Jahre der West-Ost-Beziehungen in keiner Weise ausreichend beschrieben, aber es ist ein erster Eindruck gewonnen, wie der Westen tickt: Im Osten steht entweder der Feind oder ein Vasall, der sich unterwerfen soll.
Führungsanspruch der USA
Der Kalte Krieg ist vorbei und die Welt befindet sich schon in einem lauwarmen Krieg. So zumindest die These, die im Podcast „Der Rote Planet“ vertreten wird. Der Westen hat China als Hauptfeind ausgemacht – gleich dahinter rangiert Russland.
Der Westen betrachtet die sowjetisch-russische Geschichte als jene eines Kriegsverlierers, der den Führungsanspruch der USA zu befolgen habe. Um dieser Erwartung Nachdruck zu verleihen, wurden in den letzten Jahren (kluge) Schachzüge unternommen wie zum Beispiel:
- die einseitige Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA,
- die NATO-Osterweiterung unter Einschluss der baltischen Staaten,
- die Ankündigung von George W. Bush ein Raketenabwehrsystem in Europa zu installieren (4),
- die Bereitschaft der NATO, die Ukraine und Georgien in das Militärbündnis aufzunehmen (5),
- unzählige Sanktionen gegen Russland seitens der USA und der Europäischen Union.
Im Dezember 2018 wurde in einem Beitrag der Deutschen Welle bemerkt: „Selbst Experten können sich nicht an alle Sanktionen erinnern, die von den USA und der EU gegen Russland seit 2014 verhängt wurden.“ (6) Russische Versuche, Gemeinsamkeiten zu formulieren und damit den Anspruch auf eine gleichberechtigte Partnerschaft zu stellen, sind komplett gescheitert.
Auf dem Highway des Krieges
Im Vorfeld eines Treffens der Verteidigungsminister der NATO-Staaten Ende Oktober 2021 führte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin aus, dass Russland kein Recht habe, „ein Veto gegen die Absichten der Ukraine einzulegen, sich der NATO anzuschließen“ (7). Auch Georgien und Rumänien werden hofiert, was einem Dreh an der Konfrontationsschraube gleichkommt.
Alle drei Länder grenzen an das Schwarze Meer, haben also eine militärstrategische Bedeutung, die Russland gar nicht ignorieren kann. Und das weiß man natürlich auch im Westen, wo keine Naivlinge oder Amateure am Werk sind, wie spätestens nach einem Krieg vermutlich ein beachtlicher Teil der Kritikerriege aufstöhnen würde, sondern Profis, die die Konfrontation, wo immer sie auch hinführen wird, suchen und wollen.
Das unerschütterliche Selbstbewusstsein der USA, der alleinige und unumstößliche Weltführer zu sein, und der Glaube, man hätte es im Falle Russlands lediglich mit einer Regionalmacht zu tun, die sich fügen muss, hat aber einen Haken. Russland ist keine Regionalmacht, sondern eine Großmacht, die im globalen Konzert mitspielt: auf den Tasten der militärischen Gewalt wie im Syrienkrieg ebenso wie auf jenen der Diplomatie wie vor wenigen Wochen bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in Moskau gezeigt (8).
Und was macht Deutschland? Man positioniert sich als eiskalter Krieger. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 21. Oktober 2021 sagte die (Noch-)Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Russland teste mit vielen kleinen Maßnahmen, wie weit es gehen kann. Die NATO müsse hier aufrüsten und für mehr Abschreckung sorgen. Und damit nicht genug: Man müsse der Führung in Moskau sehr deutlich machen, dass man am Ende bereit sei, auch militärische Mittel einzusetzen (9).
Das ist von nicht zu überbietender Deutlichkeit und unterstreicht, wie selbstverständlich bereits der Übergang zum heißen Krieg gedacht und auch öffentlich verkündet wird. Und wie reagiert die Öffentlichkeit? Werden Widerspruch oder gar Empörung geweckt? Ganz und gar nicht. Die einen bemerken nichts, die anderen sind auf Linie und kritische Stimmen, die das Zerlegungsprogramm gegen Russland (inklusiv der Option eines Krieges) erkennen, neigen zur Relativierung. Tja, wenn der Äußere Feind ins Visier genommen wird, wird nach innen begradigt: Die repressive Öffentlichkeit ist ein Merkmal der Kriegsvorbereitung.
Quellen und Anmerkungen
(1) Michail Sergejewitsch Gorbatschow war von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und von März 1990 bis Dezember 1991 Staatspräsident der Sowjetunion. Neue Akzente in der sowjetischen Politik setzte er mit Glasnost und Perestroika. Gorbatschow, der durch Abrüstungsverhandlungen mit den USA das Ende des Kalten Krieges einleitete, erhielt 1990 den Friedensnobelpreis. Seine Politik wurde durch die Schlagworte Glasnost (Offenheit der Staatsführung gegenüber der Bevölkerung) und Perestroika (Umbau und Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems der UdSSR) bekannt.
(2) Boris Nikolajewitsch Jelzin (1931 bis 2007) war Bauingenieur und Politiker. Von 1991 bis 1999 war er der erste Präsident Russlands. In seine Präsidentschaft fällt die sogenannte Coupon-Privatisierung (eine Form der Privatisierung, bei der die Umwandlung von Staatseigentum in Privateigentum durch ausgegebene Coupons erfolgt), die in den 1990er-Jahren wesentlich zum Entstehen der postsowjetischen Oligarchie beitrug.
(3) Deutscher Bundestag: Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.09.2001. Auf https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966 (abgerufen am 5.11.2021).
(4) Telepolis (12.6.2007): US-Raketenabwehrsystem spaltet Europa und schürt Konflikt mit Russland. Auf https://www.heise.de/tp/features/US-Raketenabwehrsystem-spaltet-Europa-und-schuert-Konflikt-mit-Russland-3413946.html (abgerufen am 5.11.2021).
(5) Linke Zeitung (28.4.2021): Die NATO erweitert ihre Ostflanke um die Ukraine und Georgien. Auf https://linkezeitung.de/2021/04/28/die-nato-erweitert-ihre-ostflanke-um-die-ukraine-und-georgien (abgerufen am 5.11.2021).
(6) Deutsche Welle (19.12.2018): Die Sanktionen des Westens gegen Russland. Auf https://www.dw.com/de/die-sanktionen-des-westens-gegen-russland/a-46477832 (abgerufen am 5.11.2021).
(7) Telepolis (20.10.2021): US-Verteidigungsminister Austin: Für Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens. Auf https://www.heise.de/tp/features/US-Verteidigungsminister-Austin-Fuer-Nato-Beitritt-der-Ukraine-und-Georgiens-6224257.html (abgerufen am 5.11.2021).
(8) Deutschlandradio (21.10.2021): Afghanistan-Konferenz ruft zu dauerhaftem Frieden auf. Auf https://www.deutschlandfunk.de/moskau-afghanistan-konferenz-ruft-zu-dauerhaftem-frieden-auf.2932.de.html?drn:news_id=1313752 (abgerufen am 5.11.2021).
(9) Deutschlandradio (21.10.2021): Kramp-Karrenbauer (CDU): „Russland ist eine große Herausforderung geworden“. Auf https://www.deutschlandfunk.de/nato-strategie-kramp-karrenbauer-cdu-russland-ist-eine.694.de.html?dram:article_id=504531 (abgerufen am 5.11.2021).