Einzelne wirtschaftliche Elemente allein reichen für wissenschaftliche Einstufungen in Gesellschaftssysteme nicht aus. Die Bausteine einer Ordnung sind überwiegend ambivalent und Ergebnisse langer Transformationen. Es kommt bei der Bewertung auf die Beachtung komplexer Verhältnisse an.

Ein Aufklärungsversuch von Günter Buhlke und Uwe Behrens

Beispielsweise was die chinesische Verfassung als Ziel festlegt, mit welchen demokratischen Elementen die Landesführung ausgestattet ist. Bedeutsam ist, ob der gesetzliche Regelmechanismus der Gesellschaft egoistische, gewinnorientierte Handlungen einer Gruppe zulässt, oder ob Prinzipien des Volkswohlseins, der Gleichberechtigung, des Friedens vorherrschen. Es steht die Frage nach einem Nutzen der Milliardäre für die Aufbauphase des Sozialismus in Chinas.

Deng Xiaopings Katzen – egal welche Farbe das Fell hat – müssen sich mit dem Fang der Mäuse zufrieden geben und nicht die Politik als neue Futterquelle suchen.

Das bedeutet, dass Milliardäre den Weg zum Sozialismus begleiten können, wenn entsprechende Gesetze den Rahmen ihrer Arbeit bestimmen, z.B. zur Reinvestition ihrer Gewinne in China, zum Arbeitsschutz, die Anerkennung der Steuerpflicht. Milliardäre sollten die Akkumulationskraft des Landes stärken und für höhere Einnahmen des Staatshaushaltes sorgen. Die Souveränität darf nicht leiden.

Im Hintergrund der Verwendung kapitalistischer wirtschaftlicher Bausteine, wie das Investitionskapital, die Börsen oder die Zulassung ausländischer Konzerne im Land mit eigenem Know-how, steht der Wille, Chinas Entwicklung im internationalen Wettbewerb sicher zu stellen.

Wichtig für die Definition, sind weitere gesetzliche Regelungen und praktische Ergebnisse:

  • Bodenschätze und das Ackerland etc. bleiben Eigentum Chinas.
  • Im Staatseigentum befinden sich weiterhin die für die Gesamtwirtschaft entscheidenden Basisunternehmen der Energie-Erzeugung, Stahl- und Rohstoffgewinnung, der Kommunikation, mit Straßen, Eisenbahn, Post/Digitalverbindungen Fluglinien u.ä. Die Fürsorgebereiche des Staates Gesundheitswesen, Bildung, Kultur und Sport genießen eine bevorzugte Aufmerksamkeit der Regierung und bei der Zuteilung finanzieller Mittel.
  • Die Verfassung gewährt 3 Eigentumsformen / Arbeitsmöglichkeiten (staatliches, genossenschaftliches und privates) und eine Mischform zwischen staatlichen und privaten unterhalb der 50 % Grenze. Sie lässt in gesetzlich festgelegten Sonderzonen die Tätigkeit des Auslandskapitals zu.
  • Im sozialistischen System verankert sind staatliche 5-Jahrespläne zur Entwicklung der Hauptstrukturen des Landes. Sie legen die großen volkswirtschaftlichen und sozialen Ziele fest, im Unterschied zur kapitalistischen linearen Programmplanung sowie der 2-jährigen. Der 5-jährige Plan bilanziert und führt die realen Proportionen, d.h. Kapazitäten der Produktion, Kapitalbedarf, den wissenschaftlich-technischen Stand und das Arbeitsvermögen zusammen. Eine demokratische Mitbestimmung und das Abstimmungsverfahren werden durch Gesetze geregelt. Historisch zurückgebliebene Gebiete wie Tibet, Xinjiang Uygur u.a. genießen eine bevorzugte staatliche Förderung.
  • Die internationale wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit beruht auf dem Konzept der friedlichen Koexistenz zum gegenseitigen Vorteil und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Landes. Es fördert den wirtschaftlichen Wettbewerb als Form der Zusammenarbeit, ohne Sanktionen oder Boykotte. Der Erfolg der Neuen Seidenstraße zeigt die Überlegenheit des Konzepts.
  • Ein prinzipieller Unterschied der beiden Systeme liegt in der Verteilung der Ergebnisse. Der Unterschied führte im System der Gewinnlogik zur Spaltung der Gesellschaften in arm und reich. Die Arbeitslosigkeit ist im Kapitalismus Normalzustand. Für eine sozialistische Gesellschaft sind Arbeit und Arbeitskraft Hauptfaktoren, auf die die ganze Sorgfalt der Entscheider gerichtet ist. Arbeitslosigkeit ist im Grunde für die Entwicklung kriminell. Einstein stellte fest, dass das Arbeits- und Denkvermögen die einzigen Gaben sind, die der Mensch für seine Entwicklung besitzt. Alles Übrige trägt die Natur zum Fortschritt bei. Die praktischen Ergebnisse der letzten etwa 40 Jahre belegen, dass die sozialistische Volksrepublik China den Volkswohlstand erheblich angehoben hat. Die extreme Armut aus der Zeit eines abhängigen Entwicklungslandes wurde bis 2022 überwunden. China stellt sich mit praktischen Maßnahmen seiner Verantwortung zum Pariser Weltklima-Abkommen. Gleichzeitig sind finanzielle Mittel aus eigener Kraft freigestellt worden, um hohe Entwicklungsstände in der Bildung, Forschung und zur Einführung der Digitalisierung, sowie der Weltraumforschung zu ermöglichen.
  • Mit der gleichen Verantwortung arbeitet China im globalen System der UNO und als Mitglied nutzt China die Plattform der Gruppe der G20. Das Land mit seiner nunmehr gewachsenen Wirtschaftskraft ist zum Anwalt der ehemaligen Entwicklungsländer geworden. China unterstützt die Nachhaltigkeitsziele der UNO bis 2030. Das internationale Projekt der Neuen Seidenstraße hilft den Ländern Asiens und Afrikas, Rückstände aus der kolonialen Epoche zu überwinden und die eigene Wirtschaft zu stärken. Chinas Arbeit im Verbund der BRICS-Staaten hilft Lateinamerika, wirtschaftliche Rückstände aus der kolonialen und kapitalistischen Epoche abzubauen, z.B. durch Förderkredite, Vorteilsgewährung bei den Technologiekosten und durch Bereitstellung von Fachpersonal.

Hauptsächliche Tätigkeitsbereiche, aus denen sich die Milliardäre entwickelt haben, sind Unternehmen der Datentechnologie, mit Zielen bis hin zur künstlichen Intelligenz. Rechnerstationen, Handys mit diversen Apps, die weltweit Bedürfnisse der jungen Generation befriedigen, sind ihre Kernprodukte. Das sind Unternehmen, wie Huawei, TikTok u.a. Die staatliche Akademie Pekings für künstliche Intelligenz (KI) förderte z. B. die Entwicklung der Dolmetscher-Handygeräte Wu Dao 20 und des Verkehrsüberwachungssystems Skynet. 2021 veröffentlichte die Regierung eine Ethik-Richtlinie für die KI.

Die Milliarden Vermögen einiger Chinesen sind zunächst Buchgelder aus den Betriebsbilanzen mit Aktiva und Passiva, sowie Werten des Betriebsvermögens an Produktionsanlagen, Material etc. Die Entscheidungsmacht darüber, wie das Betriebsvermögen eingesetzt wird, obliegt den Mehrheitseignern. Das ist der Ansatzpunkt für gesellschaftliche Kritiken sowie für die Gesetzgebung des Parlaments. Erst nach Kenntnisstand, wie das Parlament die Hauptfaktoren für die Unternehmer gesetzlich festlegt (Mindestlöhne, Lohn-, Einkommens- und Vermögenssteuern, Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheits- und Wohnversorgung, betriebliche Weiterbildung u.v.m.) ist die Rolle des Unternehmers und Besitzers politisch beurteilbar.

Die chinesischen Führungskräfte bemühen sich offensichtlich, Ungleichheiten zu reduzieren. Sie mussten politisches und wirtschaftliches Neuland betreten und Fehlentwicklungen sozialistischer Länder Europas vermeiden. Gleichfalls stets zu beachten war und ist die relative Autonomie der Provinzen, die den Vorschlägen/Vorgaben von der Zentralregierung Peking nicht buchstabengetreu folgen.

In der früheren Sowjetunion und in den sozialistischen Ländern Europas gab es keine privaten Milliardäre in der Wirtschaft, wohl aber Unternehmen mit Bilanzen von über einer Milliarde. Milliardäre entsprachen nicht der üblichen Theorie, die Extreme ablehnt. Auch die Französische Revolution sah in ihren Zielen u.a. die Gleichheit (Egalité) vor. Die Betriebswirtschaften des kapitalistischen und des sozialistischen Systems kennen in ihren Bausteinen keine systemisch großen Unterschiede. Einige Elemente der Betriebswirtschaft gehen bis auf den Feudalismus zurück (z.B. Börsen, Kredit, Darlehen, Konten, Planung, Steuerpflichten, Haushaltspläne/Kameralistik u.v.m.).

Russland ließ unter den Präsidenten Gorbatschow und Jelzin Oligarchen mit großen Privatvermögen zu. So entstehen Fragen, ob Milliardäre und Oligarchen in eine sozialistische Wirtschaftstheorie passen. Die Vermögenden sind jeweils legal in ihre Positionen gelangt. In China eher gebunden an Produktions- und Entwicklungsprozesse, dagegen in Russland durch den Aufkauf von Geldanteilen ehemaliger staatlicher Betriebe. Präsident Putin hat die Strukturen samt Oligarchen übernommen. Marx analysierte ab 1843 vorrangig den materiellen Produktionsprozess und die Verteilungsprobleme nach der Wertschöpfung. Fragen der Zirkulation des Kapitals, genauer des Finanzmarktes, spielten damals eine geringere Rolle. In der Gegenwart besitzt der Finanzmarkt eigene Kreisläufe der Gewinnlogik, mit Elementen des Neoliberalismus und der Staatsverschuldungen als Geschäftsfelder, Spezialbörsen, Verwendung von Ratings u.a.

Eine zahlenmäßig kleine Gruppe chinesischer Milliardäre nutzt eine reale politische und wirtschaftliche Situation im Land, die auch einen zahlenmäßig großen Mittelstand, zum Teil auf genossenschaftlicher Basis, entstehen ließ. Milliardäre mit Arbeitssitz in Hongkong sind gesondert zu betrachten. Sie unterliegen den Gesetzen zweiter Ordnung der autonomen Stadt.

In Russland tendiert ein Teil der Oligarchen zum westlichen System, ein kleinerer stellt sich einer sozialen Verantwortung. Für die sozialistische Idee wäre es wünschenswert, wenn große Geldvermögen über eine angepasste Erbschaftssteuer in den Wirtschaftskreislauf der Gesellschaft zurückgeführt würden.

Die aktuelle Sanktionspolitik der G7 soll Russland schwächen und strafen. Sanktionen besitzen Dominoeffekte. Sie schaden gleichfalls EU-Ländern und lösen Inflationen aus. Die USA wird Nutznießer, durch den Eintritt in die sanktionierten Lieferketten und als Kreditgeber gegen Zinszahlung für die Umstellungsprozesse in den Länder Süd-Osteuropas und des baltischen Raums. Die Sanktionen im Energiebereich schaden den Entwicklungsländern durch höhere Kosten und zusätzlichen Kreditbedarf.

Die Bewertung von Chinas Weg als sozialistisches Land darf nicht ohne Beachtung der Größe des Landes, seiner Traditionen und der bisherigen internationalen Erfahrungen vorgenommen werden. Große kontinentale Gebiete in Asien, Lateinamerika, Europa und Afrika können nicht nach einem einheitlichen theoretischen Leisten den Sozialismus bis in die Einzelheiten entwickeln. Eine eigene Prägung entspricht der Logik, reale und praktische Verhältnisse zu beachten, wie schon Hegel als Prinzip analysierte.

Die von China praktizierte friedliche Koexistenz mit Partnerschaften auf gleicher Augenhöhe wird ergänzt von den kulturellen und sozial gesellschaftlichen Traditionen mit seinen konfuzianischen Werten. Dies bietet stabilere Voraussetzungen für die Zukunft als die europäisch-christlichen Traditionen mit Kriegen, Arbeitslosen und Missachtung der Natur.

Geschichtliche Abläufe bezeugen, dass neue gesellschaftliche Systeme in der Welt Anlaufzeiten von mehr als 100 Jahren benötigten, bis die Vorteile voll zur Geltung kommen, je nach Art und Dauer der Gegenreaktion des alten Systems (Konterrevolution, Boykotte, Sanktionen). Die bürgerlich republikanische Ordnung musste sich nach 1789 gegen eine „Heilige Allianz“ feudaler Regierungen durchsetzen. Der Sozialismus wird von einer starken unheiligen Allianz seit 1918 in Asien, Europa, Afrika, Lateinamerika bedrängt, von militärischen Konterattacken, der Ächtung als das Böse, mit Boykotten, Sanktionen und Versuchen zur Destabilisierung.

Das Junitreffen der G7 im deutschen Elmau bestätigte die Politik des „Weiter so“ mit einer Verstärkung des Drucks auf Russland und China. Der massive Polizeieinsatz schadete der Demokratie. Zukunftshoffnungen für Gretas Generation bleiben unerfüllt.

Text von Günter Buhlke und Uwe Behrens


Buchhinweis:

Günter Buhlke vertieft in seinem Buch „Hat die Welt eine Zukunft?“, Vergleiche zwischen beiden streitenden Systemen und Uwe Behrens analysiert in seinem Buch „Der Umbau der Welt“, welche Vorteile das Projekt der Neue Seidenstraße für eine friedliche Welt bietet.