Wie du sicher schon bemerkt hast, hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Da sind die Pandemie, die ständig steigenden Preise für fast alles und eine Menge anderer Merkwürdigkeiten, die von Monat zu Monat häufiger aufzutauchen scheinen. Auch auf einer gefühlten Ebene hat sich eine seltsame Ungewissheit breit gemacht. Zweifellos hast du Menschen darüber reden hören, Menschen, die du kennst, Menschen, die du jeden Tag siehst.

Wie du sicher schon bemerkt hast

Etwas ist schief gelaufen. Oder besser gesagt, es fühlt sich so an, als ob etwas auf eine andere Art und Weise schief gelaufen ist als vorher. Weißt du, was ich meine? Es ist, als ob eine Art kollektives Schwindelgefühl ausgebrochen wäre. Es fühlt sich an, als würden wir unseren Weg verlieren oder hätten ihn bereits verloren. Oder vielleicht stellen wir fest, dass unser Weg, unsere Richtung, schon seit einiger Zeit vom Kurs abgekommen ist?

Wie auch immer man die Situation interpretieren mag – ich denke, wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass wir alle das Gefühl haben, etwas sei deutlich anders, etwas Grundlegendes habe sich in letzter Zeit verändert. Die Frage ist: Was hat sich verändert? Um diese Veränderung zu erklären, ist zunächst ein wenig Kontext nötig.

Globale Verflechtung

Dass wir in einer technologisch und wirtschaftlich vernetzten Welt leben, ist mittlerweile allgemein bekannt. Mit anderen Worten: Wenn eine Krise in einer Region des Planeten auftritt, wirkt sie sich früher oder später, auf die eine oder andere Weise, auch auf alle anderen Regionen aus. Ein offensichtliches Beispiel für dieses Phänomen ist der Krieg in der Ukraine. Die dortigen Kämpfe und die gegen Russland verhängten Sanktionen haben einen Dominoeffekt ausgelöst, der in Ländern auf der ganzen Welt zu sozioökonomischen Störungen geführt hat.

Unipolarität seit den frühen 1990er Jahren

Seit Anfang der 1990er Jahre leben wir in einer so genannten „unipolaren Welt“. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor etwas mehr als dreißig Jahren verfügen die Vereinigten Staaten über eine beispiellose militärische und wirtschaftliche Macht. Um diese Macht aufrechtzuerhalten, mussten sie sich überall auf der Welt militärisch engagieren, um Herausforderer ihrer Hegemonie abzuwehren. Die USA haben es sich zur Gewohnheit gemacht, in die politische und wirtschaftliche Entwicklung von Ländern einzugreifen, die Anzeichen für eine Abweichung vom unipolaren Modell zeigten. All das ist allgemein bekannt und war in den letzten rund zwanzig Jahren, vielleicht sogar noch länger, gängige Praxis.

Die aufkeimende Herausforderung der Unipolarität

In den letzten Jahren ist eine große Herausforderung für das unipolare Modell entstanden. Diese Herausforderung ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, von denen der wichtigste der Aufstieg Chinas zu einer wirtschaftlichen Supermacht war. In den letzten 30 Jahren ist das chinesische Bruttoinlandprodukt um das 41-fache, von 361 Mrd. US$ auf 14.720 Mrd. US$, gestiegen.(1) Das ist eine erstaunliche Wachstumsrate, die China auf der Liste der wirtschaftlich mächtigsten Nationen der Welt auf den zweiten Platz hinter den USA gebracht hat.

Bleib grade mal dran

Ich werde noch ein wenig mehr über den Kontext erzählen, und dann werden wir mitten in die Diskussion über eine große Veränderung springen, die gerade jetzt stattfindet, während du diese Worte liest. Wir sind fast am Ziel, bleib dran.

Die zwei seismischen Verschiebungen

In den letzten zwei Jahren haben zwei seismische Verschiebungen stattgefunden und eine Reihe von Veränderungen in Gang gesetzt, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben. Aller Voraussicht nach wird sich diese Reihe von Veränderungen in diesem Jahrzehnt (2020 – 2029) voll entfalten. Was wir bis jetzt gespürt haben, ist das erste Rumpeln eines globalen wirtschaftlichen Erdbebens.

Seismische Verschiebung Nummer 1

Um es kurz zu machen, verweise ich auf einen Artikel von mir, der am 4. April 2022 veröffentlicht wurde.(2) Der Artikel erklärt die erste der beiden seismischen Verschiebungen ausführlicher, als ich es hier tun kann. Grundsätzlich geht es darum, dass wir die Phase des „Too Big To Fail“ hinter uns gelassen haben. Wir befinden uns vielmehr in einer Art „Post-Too Big To Fail“-Phase. Du wirst sehen, was ich meine, wenn du dir den Artikel ansiehst.

Seismische Verschiebung Nummer 2

Vor etwa drei Wochen fand ein Treffen der BRICS-Wirtschaftspartnerschaft statt, an dem die Staats- und Regierungschefs von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika teilnahmen. Bei diesem Treffen wurde der Plan vorgestellt, eine neue gemeinsame Währung aus einem „Korb“ der Währungen aller BRICS-Mitglieder zu schaffen.(3) In den Tagen nach diesem Treffen beantragten Argentinien und der Iran die Aufnahme in die BRICS, und alles deutet darauf hin, dass die Liste der BRICS-Mitglieder weiter wachsen wird.(4)

Kurz gesagt, das massive militärische und wirtschaftliche Scheitern des Stellvertreterkriegs der USA und der NATO in der Ukraine (5)(6) hat eine neue Dimension globaler Krise ausgelöst, die diese Gruppe von Ländern (die fast die Hälfte der Weltbevölkerung ausmacht) dazu veranlasst hat, eine neue gemeinsame Währung zu schaffen. Diese neue Währung wird aller Voraussicht nach den Dollar als zentrale Weltwährung ablösen. Die Aussicht auf das, was als „Entdollarisierung“(7) bezeichnet wird, zeichnet sich schon seit einiger Zeit ab. In den letzten Monaten hat sich jedoch mit der wachsenden Zahl von Wirtschaftskrisen, die überall auf der Welt entstanden sind und sich weiter verschärft haben, eine neue globale Wirtschaftsbewegung herausgebildet.

Auf einer gefühlten existentiellen Ebene

Ok, zurück zu dem, was wir am Anfang dieses Artikels über die wachsende Unsicherheit, über den kollektiven Schwindel, den wir alle zu erleben scheinen, gesagt haben: Was ich oben erklärt habe, sind die grundlegenden Aspekte dessen, was uns alle auf einer gefühlten existenziellen Ebene beeinflusst hat.

Abgesehen von den technischen Aspekten wissen wir alle schon seit einiger Zeit, oder wenn wir es nicht wussten, hatten wir doch ein Gefühl, dass mit der Art und Weise, wie wir als Kultur funktionieren, etwas nicht stimmt. Im Grunde ist diese Krise nicht nur eine intellektuelle, technische oder wirtschaftliche Angelegenheit. Ich wage zu behaupten, dass sie letztlich eine kulturelle Angelegenheit ist, oder eine spirituelle Angelegenheit, wenn du es so nennen magst. Wähle deine bevorzugte Terminologie. Wie auch immer du sie nennen willst, sie geht tief und betrifft uns alle. Wir wissen, dass wir besser sind als das hier. Wir wissen, dass wir bereit sind, weiterzugehen, aber wir wissen (noch) nicht, in welche Richtung wir gehen sollen.

Was jetzt wie der Beginn eines massiven Wandels aussieht, ist in Wirklichkeit die Vollendung eines Wandels, der sich schon seit Jahrzehnten zusammenbraut. Der Unterschied besteht darin, dass die Mechanismen, die dazu dienten, diesen Wandel aufzuhalten, einfach nicht mehr funktionieren. In einem anderen Artikel werde ich genauer darauf eingehen, welche Mechanismen nicht mehr funktionieren. Für den Moment verweise ich dich auf einen Artikel (8) von vor ein paar Jahren, der dir mehr Kontext über die Geschichte dieses Wandels gibt.

Ist das eine gute oder eine schlechte Sache?

Nach Meinung dieses Autors geht die Welt NICHT zu Ende. Vielmehr geht, wie der Titel dieses Artikels schon sagt, die unipolare Welt, wie wir sie kennen, zwangsläufig zu Ende.

Ist das eine gute oder eine schlechte Sache? Nun, das hängt von deinem Standpunkt ab. Für diejenigen, die sich an überholte Vorstellungen darüber klammern, wie die Dinge sind oder sein sollten, können sich die kommenden Veränderungen durchaus wie das Ende der Welt anfühlen. Andererseits wäre es naiv zu glauben, dass wir direkt auf Felder voller Einhörner und Blumen zusteuern. Im Gegenteil, ich denke, wir haben noch einen verdammt holprigen Weg vor uns, bevor wir auch nur annähernd etwas wie einen richtigen Durchbruch erzielen. Ich hoffe übrigens, dass ich damit falsch liege. Am liebsten würde ich die chaotische Vorgeschichte überspringen und gleich zu globalem Frieden, Liebe und Verständnis übergehen … aber leider scheint das (aus meiner Sicht) unwahrscheinlich. Dieser Übergang wird ziemlich sicher einige Zeit in Anspruch nehmen, und er wird wohl alles andere als einfach sein.

Andererseits werden diejenigen, die erkannt haben, dass unsere Spezies über die immer noch herrschenden sozioökonomischen und kulturellen Modelle hinausgewachsen ist, die kommenden Veränderungen – so herausfordernd einige von ihnen auch sein mögen – als notwendige Schritte in einem evolutionären Prozess betrachten, der schließlich zur Bildung einer universellen menschlichen Nation führen wird.

Übersetzung aus dem Englischen von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!


[1] https://theconversation.com/vital-signs-slower-chinese-economic-growth-inevitable-without-internal-reform-170277
[2] https://staging1.pressenza.com/de/2022/04/wir-sind-in-ein-postkapitalistisches-zeitalter-eingetreten/
[3] https://www.businessinsider.in/stock-market/news/russia-and-china-are-brewing-up-a-challenge-to-dollar-dominance-by-creating-a-new-reserve-currency/articleshow/92437095.cms
[4] https://www.business-standard.com/article/international/iran-argentina-apply-to-join-brics-bloc-after-recent-summit-report-122062800935_1.html
[5] https://staging1.pressenza.com/2022/06/ukraine-is-losing-badly-and-things-are-about-to-get-much-worse-for-them-unless/
[6] https://staging1.pressenza.com/de/2022/06/die-sanktionen-gegen-russland-fuehren-fast-ueberall-auf-der-welt-zu-inflation-und-entwurzelung-ausser-in-russland/
[7] https://www.cambridge.org/core/elements/can-brics-dedollarize-the-global-financial-system/0AEF98D2F232072409E9556620AE09B0
[8] https://staging1.pressenza.com/2020/12/the-fall-of-the-liberal-left-the-rise-of-neoliberalism-and-the-resulting-confusion-that-has-ensued/