Urs P. Gasche für die Onlinezeitung Infosperber
Weil kurzfristig ein Engpass droht, soll man weniger Strom, Gas und Öl verschwenden. Allerdings verlangt die Klimakrise viel mehr.
Weder die eindringlichen Appelle von Greta Thunberg noch die Klimastreiks der Bewegung «Fridays for Future» hatten zur Folge, dass Regierungen Sparappelle verbreiteten, mit Strom oder Gas betriebene Aussenheizungen einschränkten oder Maximaltemperaturen in Büros oder zu Hause empfahlen.
Es ist betrüblich festzustellen, dass es ohne Wladimir Putin keine solchen Appelle gäbe, um den Verbrauch fossiler Brennstoffe etwas zu reduzieren. Für Klimawissenschaftler und Klimaaktivisten muss es extrem ernüchternd sein, dass es nur schon für diese bescheidenen und zaghaften Massnahmen den Krieg Russlands gegen die Ukraine und Putin am Gashahn brauchte.
Auf kurzfristige Risiken – wie eine mögliche Stromknappheit im Winter – reagieren Menschen und auch die Politik. Auf viel grössere Risiken dagegen, die sich nur schleichend entwickeln, reagieren Zivilgesellschaft und Politik viel zu träge, selbst wenn irreversible Katastrophen drohen.
Am stärksten bedroht wird die Menschheit – abgesehen von einem atomaren Krieg – durch die zunehmende Erhitzung, die weit existenzbedrohender ist als eine vorübergehende Krise. Wichtige Ursachen sind menschengemacht: Es sind in erster Linie der weiter zunehmende Verbrauch fossiler Brennstoffe und das fortdauernde Abholzen der Urwälder.
Die katastrophalen Folgen der Erhitzung werden verschärft durch das Anreichern von Schwermetallen und Pestiziden im Humus, die stetige Verseuchung und Ausbeutung der Meere sowie durch den beschleunigten Verlust von Tier- und Pflanzenarten. Dazu kommt die starke Zunahme der Bevölkerung in Afrika und an anderen Orten.
Vor diesem Hintergrund empfehlen jetzt die Behörden, nur kurz zu duschen statt ein Bad zu nehmen, im Backofen stets die Umluft einzustellen oder die Standby-Funktion beim Fernseher auszuschalten.
Solche gutgemeinten Empfehlungen (und auch Vorschriften) reichen hinten und vorne nicht, um schwere Schäden und existenzielle Folgen der Klimakrise so gut wie nur möglich zu vermeiden.
Mit ihrer Lebensweise und ihrem verschwenderischen Konsum verursachen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte des weltweiten CO2-Ausstosses in die Atmosphäre. Zu diesen 10 Prozent gehören wir Schweizer und wir Deutschen.
Die Ökonomen Thomas Piketty und Lucas Chancel haben berechnet, dass das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung oder 80 Millionen Menschen die Atmosphäre jährlich mit 200 Tonnen CO2-Emissionen belasten – pro Person. Das ist 2000-mal mehr als die Menge, welche die ärmsten 80 Millionen Menschen verursachen (0,1 Tonnen pro Person und Jahr).
Radikales Handeln drängt sich nicht nur wegen der Klimakrise auf. Wenn alle acht und bald neun Milliarden Menschen auf der Erde etwa so verschwenderisch leben wollten wie wir Europäer und US-Amerikaner, bräuchte es vier Planeten wie die Erde, damit alle Menschen genügend Humus, Wasser und Rohstoffe zur Verfügung haben.
Es wirkt aus der Zeit gefallen, wenn Medien als freudige Botschaft verbreiten, dass etwa die Kreuzfahrten und der Flugverkehr bald wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen.
Dabei fordert auf individueller Ebene der kategorische Imperativ, dass wir weniger fliegen, weniger heizen und klimatisieren, unsere Autos, Kleider, Computer und Handys seltener ersetzen und weniger Fleisch essen.
Auf gesellschaftlicher und politischer Ebene gilt es, sich von absurden und marktwidrigen Gewohnheiten zu verabschieden: Noch immer werden Förderung, Transport und Verarbeitung von Rohöl und Gas mit Milliarden direkt subventioniert. Wenn man zusätzlich die Umweltschäden in Rechnung stellt, subventionieren allein die USA die Erdölindustrie mit über 600 Milliarden Dollar.
Ausgerechnet der Flugverkehr profitiert weltweit von steuerbefreitem Benzin und der Befreiung von der Mehrwertsteuer. Flugzeughersteller wie Boeing oder Airbus erhielten Subventionen in Milliardenhöhe. Flughäfen gewährt der Staat zinslose oder zinsgünstige Darlehen und Investitionshilfen. Auch der klimaschädigende Schiffs- und Schwerverkehr erhält Subventionen in Billionenhöhe.
Unter diesen Bedingungen konnte und kann ein globalisierter Markt nicht dem Wohle aller dienen, sondern er zestört die Grundlagen unsere Lebens.
Ebenso aus der Zeit gefallen, wenn auch um Faktoren bescheidener, ist die subventionierte Absatzförderung von Fleisch.
Weder Greta Thunberg noch die Klimastreiks der Bewegung «Fridays for Future» haben Politiker und Regierungen genügend aufgerüttelt, dass sie die Klimakrise ernsthaft angehen würden.
Es ist bedenklich, dass es offensichtlich schreckliche Kriege und kurzfristige Krisen braucht, um uns Reiche und Privilegierte dazu zu bringen, mit Ressourcen sparsamer und effizienter umzugehen und unsere Lebensweise anzupassen.
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Siehe auch:
3.1.2022: Wie wir aus der Krise herauskommen
24.11.2017: Jahrhundertprobleme überfordern unsere Demokratie