Mit Blick auf den zweiten und entscheidenden Wahltag am 30. Oktober haben Präsident Jair Bolsonaro von der Liberalen Partei (PL) und Luiz Inácio Lula da Silva, der Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT), bereits einen Tag nach der ersten Runde begonnen, Kontakte zu knüpfen und ihre Wahlkampfstrategien zu skizzieren.
„Wir müssen mit allen Menschen in diesem Land sprechen, die im ersten Wahlgang nicht für uns gestimmt haben. Wir werden mit allen politischen Kräften sprechen, die Stimmen haben, die politische Bedeutung haben, so dass wir als Einheit die Demokraten gegen die Nicht-Demokraten vereinen können“, sagte Lula da Silva am Montag, 3. Oktober bei einer Veranstaltung mit Verbündeten in der Stadt São Paulo. In diesem Sinne sieht die Wahlkampagne von Lula laut Bericht der Tageszeitung Folha de S. Paulo eine stärkere Ausrichtung zur Mitte hin vor.
Nach offiziellen Angaben erhielt die PT 48,4 Prozent der gültigen Stimmen – 57.259.504 Stimmen – gegenüber 43,2 Prozent für Bolsonaro, der 51.072.345 Stimmen erhielt. Dies deutet darauf hin, dass Lula zu Beginn im Vorteil sein wird, aber das Abstimmungsverhalten weiterer Gruppen wird entscheidend sein, um sich gegen den derzeitigen Präsidenten durchsetzen zu können.
Tebet und Gomes unterstützen Lula, Bolsonaro optimistisch
Die Dritt- und Viertplatzierten der Wahl riefen nach dem ersten Wahlgang ihre Unterstützung für Lula aus: Simone Tebet von der zentristischen Brasilianischen Demokratischen Bewegung (MDB), die 4,16 Prozent (fast fünf Millionen Stimmen) erzielte – und Ciro Gomes von der Demokratischen Arbeiterpartei (PDL), der 3,04 Prozent (knapp 3,6 Millionen Stimmen) erhielt. Die Unterstützung beider für Lula bedeutet jedoch nicht, dass die von ihnen im ersten Wahlgang erzielten Stimmen im zweiten Wahlgang zu dem PT-Kandidaten übergehen werden.
Bolsonaro seinerseits zeigte sich in einer Reihe von Nachrichten auf seinem Twitter-Konto optimistisch. „Entgegen allem und jedem, hatten wir in der ersten Runde 2022 mehr Stimmen als 2018. Es waren fast zwei Millionen mehr Stimmen! Wir haben auch die größten Fraktionen im Repräsentantenhaus und im Senat, was anfangs unsere oberste Priorität war“, schrieb der Präsident.
Gleichzeitig ließ Bolsonaro den Staatsapparat zu seinen Gunsten arbeiten: laut der brasilianischen Tageszeitung O Globo beschloss die Regierung, den Zeitplan für die Zahlungen von Auxílio Brasil an die Begünstigten dieses Sozialprogramms vorzuziehen. Mit dieser Änderung werden die Zahlungen am 11. Oktober beginnen und am 25. Oktober enden, fünf Tage vor der zweiten Runde. Der ursprüngliche Plan sah vor, dass die Geldüberweisungen an die Begünstigten zwischen dem 18. und 31. des Monats erfolgen sollten.
Rechtsruck im Kongress
Obwohl Lula am 2. Oktober der meistgewählte Kandidat war, haben die mit dem Präsidenten sympathisierenden rechten Strömungen bei den Parlamentswahlen sehr gut abgeschnitten. „Eines ist klar“, stellte die Journalistin Helena Chagas in einem auf der Website von Brasil 247 veröffentlichten Artikel fest: „Lula wird Bündnisse mit der Mitte eingehen müssen, und zwar nicht nur, um die Wahlen zu gewinnen, sondern vor allem, um zu regieren, falls es dazu kommt. Die Bolsonaro-Welle, die durch den Kongress geschwappt ist, hat dafür gesorgt, dass die linken Kräfte in beiden Kammern eindeutig in der Minderheit sind.“ Dies sei ein äußerst wichtiger Faktor.
Bolsonaros Partei PL wird ab dem nächsten Jahr mit 99 Plätzen die größte Fraktion in der Abgeordnetenkammer stellen. Zusammen mit den verbündeten Fraktionen wird der amtierende Präsident außerdem von mindestens 125 der insgesamt 512 Abgeordneten der Kammer unterstützt. Auch die Bolsonaro-nahen Senator*innen und die Rechten im Allgemeinen erzielten am Wahlsonntag, an dem ein Drittel der Gesamtzahl der Sitze in der Kammer erneuert wurde, sehr gute Ergebnisse. Auf diese Weise wird die Rechte in der nächsten Legislaturperiode 41 der 81 Sitze im Senat haben.
Linksbündnis mit nur 14 Sitzen
Nach offiziellen Angaben wird Bolsonaros PL in der Abgeordnetenkammer die bereits erwähnten 99 Sitze haben, die von der PT geführte Parteienkoalition wird mit 80 Sitzen die zweitgrößte Fraktion stellen. Die drittstärkste Koalition wird die Union Brasil sein, ein Zusammenschluss des Sozialliberalen Partei und der ebenfalls rechtsgerichteten Demokraten, die 59 Sitze errungen haben. Die vierte Kraft ist ebenfalls eine rechtsorientierte Partei, die Progressive Partei mit 47 Sitzen, die zentristische MDB mit 42, die Mitte-Rechts-Partei PSD mit ebenfalls 42 und die rechtsgerichteten Republikaner mit 41 Sitzen.
Besonders auffällig war der Absturz der Mitte-Links-Partei PSB, die am Sonntag das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielte und nur 14 Abgeordnete haben wird, drei weniger als die PDT von Ciro Gomes, die ebenfalls ein schlechtes Wahlergebnis erzielte. Das Bündnis zwischen der linken Partei Socialismo e Liberdade (Sozialismus und Freiheit) und der ökologischen Partei REDE wird 14 Sitze in der Abgeordnetenkammer haben, die zentristische Podemos zwölf und andere kleinere Parteien 28 Sitze.