Der Pressenza-Journalist Perfecto Caparas interviewte die politische Gefangene Leila M. de Lima, ehemalige Senatorin, Justizministerin und Vorsitzende der Menschenrechtskommission. Am 9. Oktober 2022 wurde de Lima von einem Mithäftling in der Zelle als Geisel genommen, in die der frühere Präsident Rodrigo Duterte sie am 24. Februar 2017 wegen erfundener Drogenvorwürfe gebracht hat.
Ermittlungen in Davao
Perfecto Caparas (PC): Als Vorsitzende der Menschenrechtskommission haben Sie 2009 eine Untersuchung der systematischen Tötungen in Davao durchgeführt. Welche Probleme, Herausforderungen und Bedenken haben Sie bei Ihrer Entscheidung, diese Untersuchung als Vorsitzende der Menschenrechtskommission durchzuführen, berücksichtigt?
Leila de Lima (LDL): Meine einzigen Bedenken, bevor ich mit der Untersuchung begann, waren, dass die Morde aufhören müssen und dass wir herausfinden müssen, wer die Drahtzieher hinter den Morden sind. Ich habe keine anderen Faktoren in Betracht gezogen, wie zum Beispiel, ob ich bei den Ermittlungen Unterstützung von der Regierung erhalten würde. Aber glücklicherweise bekam ich die Unterstützung der PNP, die sogar so weit ging, dass sie regelmäßig ein Kontingent von Polizeibeamt:innen zur Unterstützung der Menschenrechtskommission schickte. Sie waren es auch, die uns bei der Untersuchung der Tötungsfelder der Davao Death Squad (DDS) auf dem Schießplatz von Laud im Barangay Ma-a halfen. Als wir anfingen, Probleme mit Richter:innen bei der Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen zu haben, wurde die Untersuchung schwierig und kam im Grunde zum Stillstand, da sie nun zu einem juristischen Spiel wurde, bei dem Dutertes Anwält:innen, angeführt von seinem zukünftigen Justizminister Vitaliano Aguirre II, Verzögerungstaktiken anwandten, um uns daran zu hindern, Durchsuchungsbefehle für die Exhumierung der auf dem Laud-Gelände vergrabenen DDS-Opfer zu erwirken.
Eine große Herausforderung war auch die Verfügbarkeit und Bereitschaft von Zeug:innen, auszusagen. Einige waren aus Angst nicht bereit. Andere waren zwar bereit, sich befragen zu lassen, weigerten sich aber, eine formelle Aussage zu machen. Die Treffen mit potenziellen Zeug:innen wurden heimlich abgehalten, und die Personen, die eidesstattliche Erklärungen abgaben, mussten fiktive Namen verwenden. Einige derjenigen, die eidesstattliche Erklärungen abgaben, weigerten sich, bei den öffentlichen Anhörungen auszusagen. Keiner der lokalen Beamt:innen, Barangay-Beamt:innen, der örtlichen Polizei und des Militärs, die während der öffentlichen Anhörung vorgeladen wurden, wollte die Existenz der DDS zugeben, und zwar verständlicherweise entweder aus Angst oder wegen Mittäterschaft. Wir hatten es mit einer ganzen Stadt zu tun, die sich an der Vertuschung von Hinrichtungen im Schnellverfahren beteiligte, die in den gut zwei Jahrzehnten, in denen Duterte Bürgermeister war, an der Tagesordnung waren.
Was hat Sie nach Abwägung dieser Faktoren und Umstände veranlasst, die Untersuchung fortzusetzen?
Die CHR hat einfach ihre Arbeit gemacht. Damals, vor dem Ampatuan-Massaker, gab es nur zwei verschiedene Menschenrechtsprobleme, die das Land heimsuchten: die Menschenrechtsverletzungen der AFP und der PNP und die Morde in Davao. Die Morde in Davao finden seit etwa zwei Jahrzehnten statt, ohne dass eine Untersuchung durch eine frühere Regierung durchgeführt wurde. Mit der Veröffentlichung des Alston-Berichts haben wir beschlossen, dass das Problem der Morde in Davao lange genug geschwelt hat und direkt angegangen werden muss, unabhängig davon, wer die mächtigen Persönlichkeiten hinter den Morden sein mögen.
„Es ist niemals normal oder akzeptabel, dass Hunderte von Zivilist:innen in den Straßen einer funktionierenden Demokratie ungestraft getötet werden.“ – Leila de Lima
Wie sind Sie damals mit den Risiken und möglichen Repressalien umgegangen?
Meine Kolleg:innen von der CHR und ich fühlten uns durch die Sicherheit, die die PNP während unseres Aufenthalts in Davao bot, ausreichend geschützt. Wir waren nicht so besorgt über Repressalien, da Dutertes Macht damals kaum über Davao City hinausging. Sein Ziel war es damals, die Sache auszusitzen und die DDS in Ruhe zu lassen, während die Ermittlungen liefen. Sie waren diejenigen, die tatsächlich vorsichtig waren, nicht die Menschenrechtskommission-Ermittler:innen. Er konnte es sich nicht leisten, gewaltsam gegen eine nationale Institution wie die Menschenrechtskommission vorzugehen, da seine Macht damals lokal begrenzt war. Die DDS beschränkte sich dann auf Repressalien gegen ihre eigenen Mitglieder, die verdächtigt wurden, der KHR Informationen zu liefern. Als Duterte begann, die Reihen der DDS zu säubern und nur die vertrauenswürdigsten seiner zivilen Mitarbeiter:innen wie Matobato übrig ließ, wurden mehrere von ihnen unabhängig von ihrer Loyalität getötet.
Und warum sind Sie trotz dieser Risiken persönlich nach Davao gereist, um die „killing fields“ von Davao zu untersuchen?
Ich hatte Vertrauen in die Sicherheit der PNP und war der Meinung, dass Duterte nicht so dumm sei, die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtskommission-Untersuchung zu lenken, indem er tatsächlich Menschenrechtskommission- oder PNP-Beamt:innen tötete, die die Untersuchung in Davao durchführten. Bis zur Menschenrechtskommission-Untersuchung waren die prominentesten Opfer der DDS lokale Fernsehsender und Medienleute, die sich gegen Duterte und die DDS ausgesprochen hatten. Diese Morde fanden keinen Widerhall über Davao hinaus, und das nationale Interesse an ihnen dauerte nicht länger als ein oder zwei Tage. Die Ermordung eines nationalen Beamt:innen der Menschenrechtskommission oder der PNP, die die Ermittlungen durchführten, wäre Duterte um die Ohren geflogen, nicht anders als später beim Ampatuan-Massaker, bei dem der gesamte Ampatuan-Clan gejagt und verhaftet wurde, weil das Massaker einen so großen nationalen Schock ausgelöst hatte.
In einer seiner öffentlichen Äußerungen enthüllte Edgar Matobato, ein bekennender Auftragskiller von Dutertes mutmaßlicher Todesschwadron, dass er und Mitglieder von Dutertes mutmaßlicher Todesschwadron während Ihrer Untersuchung vor Ort in Davao tatsächlich auf der Lauer lagen, um Sie und Ihr Untersuchungsteam auf einem der angeblichen „Tötungsfelder“ in Davao, wo die Überreste der summarisch Hingerichteten vergraben worden waren, in einen Hinterhalt zu locken. Waren Sie sich dieses Risikos bewusst?
Nein, weder die Menschenrechtskommission noch die PNP waren sich zu diesem Zeitpunkt der Bedrohung durch einen tatsächlichen Plan der DDS bewusst, unser Außenteam in einen Hinterhalt zu locken. Selbst nach Matobatos Enthüllung war ich mir nicht ganz sicher, wie real die Bedrohung war oder ob sie von der Ausdehnung des Gebiets abhing, in das das Team eindrang. Für mich persönlich wäre ein Hinterhalt das Dümmste gewesen, was Duterte tun konnte. Er hätte die gesamte Macht der nationalen Regierung auf Duterte abgeladen, so wie nach dem Massaker von Maguindanao/Ampatuan die gesamte Macht der AFP und der PNP gegen die Ampatuaner eingesetzt wurde, ungeachtet der Tatsache, dass sie Verbündete der Arroyo-Regierung waren. Ein Überfall auf das Menschenrechtskommission- und PNP-Team hätte damals das Ende von Duterte und der DDS bedeutet.
Haben Sie bei Ihren Ermittlungen vor Ort Informationen über diese spezifische Bedrohung für Ihr eigenes Leben und Ihre Sicherheit erhalten?
Nein. Andernfalls hätten wir zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und beispielsweise die AFP mitgenommen. Ich war einfach davon überzeugt, dass Duterte nicht so dumm sein würde, Blut der Menschenrechtskommission und der PNP zu vergießen.
Untersuchung des Senats
Nach Ihrer Wahl zur Senatorin im Mai 2016 haben Sie als Vorsitzende des Senatsausschusses für Justiz und Menschenrechte eine Untersuchung über die weit verbreitete Tötung von Zivilist:innen eingeleitet und geleitet, kurz nachdem der damalige Präsident Duterte seinen sogenannten „Krieg gegen Drogen“ begonnen hatte. Warum haben Sie sich trotzdem für dieses Vorgehen entschieden, obwohl Sie wussten, dass Sie es mit keinem Geringeren als dem Staatschef zu tun hatten? Hat die Aussicht auf politische oder andere Repressalien Sie nicht abgeschreckt oder Ihre Entschlossenheit beeinträchtigt, diese Ermittlungen durchzuführen?
Die Zahl der Todesopfer und die schiere Unverfrorenheit und Brutalität der Umstände, unter denen die Morde geschahen, stiegen damals rasch an. Das zu sehen, hat mich zutiefst erschüttert, wie es auch jeden anderen besorgten Mitglied der Zivilgesellschaft und erst recht jede Menschenrechtsverteidigerin oder jeden Menschenrechtsverteidiger erschüttert hätte.
Es ist niemals normal oder akzeptabel, dass Hunderte von Zivilist:innen in den Straßen einer funktionierenden Demokratie ungestraft getötet werden. Es musste etwas unternommen werden. Und damit etwas unternommen werden konnte, musste jemand etwas sagen. Damals meldeten sich nur wenige zu Wort, und ich fühle mich verpflichtet, meine Stimme zu erheben. Schließlich war ich nicht nur ein ehemaliger Vorsitzende der Menschenrechtskommission oder eine ehemalige Justizministerin, die den Auftrag hatte, die Rechtsstaatlichkeit zu wahren, sondern auch eine Senatorin, die in ihrem Amtseid eine besondere und feierliche Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte eingegangen war.
In Anbetracht dessen war es für mich wirklich keine Option, zu schweigen oder meine eigenen persönlichen Interessen über meine feierliche Pflicht als Beamtin zu stellen. Mein Gewissen hätte es mir nicht erlaubt, die Opfer auf diese Weise zu verraten. (Fortsetzung folgt)
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!