Warum ist die Menschheit so sehr mit der fossilen Brennstoffindustrie verstrickt und unfähig zu sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen? Was sind die Strukturen, die Big Oil so unbesiegbar machen gegenüber einem systemischen Wandel hin zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft? Wie werden Konflikte und Kriege im globalen Spiel mit fossilen Brennstoffen genutzt?

Die Fossilgiganten, Freihandel und Krieg

Teil 5 der 10-teiligen Reihe „Der Kampf um die Rückgewinnung unseres Planeten Erde“

Von Fred Hageneder

Die Industrie für fossile Brennstoffe und andere Großindustrien haben Naturschutzvorschriften nie gemocht. Sie sind ein Ärgernis und kosten Geld. Das Gleiche gilt für die Arbeitsrechte. Seit die neoliberale Globalisierung die Möglichkeit eröffnete, die Produktion in ärmere Länder mit weniger Vorschriften zu verlagern (China und der globale Süden), gingen die Wünsche der Industrie in Erfüllung. Und das Ausmaß der Naturzerstörung, die Emissionen und die Zahl der Todesopfer am Arbeitsplatz sind in die Höhe geschnellt.

Globalisierung des Handels vs. Klimamaßnahmen

Ein Hauptgrund dafür, dass die Klimaschutzmaßnahmen der Menschheit so langsam in Gang kommen, ist die Dynamik der Globalisierung und der Freihandelsabkommen. Die Klimabewegung und die Globalisierung haben sich auf derselben Zeitachse entwickelt, aber der neoliberale “freie Handel” hatte immer die Oberhand.

1992 trafen sich die Regierungen zum ersten Erdgipfel in Rio und unterzeichneten das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (UNFCCC). Im selben Jahr wurde das Nordamerikanische Freihandelsabkommen unterzeichnet. Im Jahr 1994 wurde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet. Im Jahr 1997 wurde das Kyoto-Protokoll zum Schutz des Klimas verabschiedet. Doch während alle Klimavereinbarungen weiterhin zahnlose freiwillige “Ziele” bleiben, werden die “Rechte” der Industrie, ihre Investitionen und Patente von der WTO aggressiv geschützt.

Beispiel: Im Jahr 2010 hatte ein italienisches Photovoltaik-Unternehmen Solarmodule mit einem unübertroffenen Wirkungsgrad entwickelt. Es richtete seine Produktionslinie in Ontario ein und erfüllte damit die Forderung der Provinz, dass etwa die Hälfte der Arbeitskräfte, Materialien und Teile aus der Region stammen müssen. Experten auf der ganzen Welt lobten dieses Abkommen als “die umfassendste Politik für erneuerbare Energien … auf der ganzen Welt.” (Klein 2014, S. 67) Schließlich ist “Buy local” und “Hire local” der Weg in eine wirklich nachhaltige Zukunft.

Für zwei Jahre dann war Ontario tatsächlich Kanadas größter Solarproduzent. Doch 2012 geriet das ganze Arrangement ins Wanken, weil Japan und die EU der Ansicht waren, dass Ontarios Vorschriften zur regionalen Produktion gegen die WTO-Abkommen verstießen. Und in der Tat entschied die WTO gegen Kanada und legte fest, dass Bestimmungen zum Kauf lokaler Produkte illegal seien. Die Bevorzugung der lokalen Industrie stelle eine illegale “Diskriminierung” und Protektionismus gegenüber potenziellen ausländischen Lieferanten dar. (Und ja: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, sind wir damals in eine Ära eingetreten, in der Big Business tatsächlich rechtmäßig Regierungen verklagen kann!)

Und dies ist kein Einzelfall, sondern ein globalistisches Muster zur Vereitelung von Klimaschutzmaßnahmen: Im Jahr 2010 haben die USA eines der chinesischen Subventionsprogramme für Windenergie angefochten. Im Jahr 2013 griffen die USA das indische Solarförderprogramm an. Sowohl China als auch Indien revanchierten sich, indem sie Projekte für erneuerbare Energien in den USA ins Visier nahmen. China griff außerdem Energieprojekte in der EU an, insbesondere in Griechenland und Italien. Naomi Klein bringt es auf den Punkt: “Die größten Emittenten der Welt rennen zur WTO, um sich gegenseitig die Windfarmen zu zerstören.” (Klein 2014, S. 65)

Die Anti-Klima-Allianz der Petrostaaten

Um Politiker, Investoren und die Öffentlichkeit an der Notwendigkeit einer Abkehr von fossilen Brennstoffen zweifeln zu lassen, kämpft Big Oil an zwei Fronten: im Inland und international. Auf der internationalen Bühne sticht eine Allianz von nur vier Petrostaaten hervor: Russland, Saudi-Arabien, USA und Kuwait. Die beiden erstgenannten verursachten das klägliche Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen (COP15) im Jahr 2009 durch einen erfundenen Skandal namens “Climategate”, der falsche Anschuldigungen und Verleumdungen gegen Klimawissenschaftler verbreitete. Diese Nachrichten wurden durch Trollbot-Armeen von russischen Servern verstärkt, um westliche sozialen Medien zu überschwemmen, und in der analogen Welt durch das Murdoch-Medienimperium (Saudi-Arabiens Prinz Alwaleed Bin Talal ist ein Verbündeter von Rupert Murdoch und war damals der zweitgrößte Aktionär von Murdochs News Corp). (1)

Seitdem haben sich die USA unter Trump und Kuwait der Verweigerungskoalition angeschlossen und alle vier haben gemeinsam daran gearbeitet, die Klimazusagen auf der Klimakonferenz 2018 in Kattowitz (COP24) zu verwässern. (2) Aus Sicht von Big Oil war das notwendiger denn je, denn 2012 hatten der staatliche russische Energieriese Rosneft und der weltgrößte Konzern für fossile Brennstoffe, ExxonMobil, ein Abkommen zur Erschließung der weltweit größten unerschlossenen Ölreserven unterzeichnet – Erdölreserven in der Arktis, in Sibirien und im Schwarzen Meer im Wert von geschätzten 500 Milliarden Dollar.” (Mann, S. 39)

Das war ein guter Grund für Ölbaron Putin, sich in die US-Wahlen 2016 einzumischen. Denn Hilary Clinton hätte die Russland-Sanktionen von Barack Obama beibehalten (die 2014 nach Putins Annexion der Halbinsel Krim verhängt wurden). Donald Trump dagegen ernannte nach seinem Amtsantritt niemand anderen als – Überraschung, Überraschung! – ExxonMobil-Chef Rex Tillerson zum Außenminister, Tillerson, der darüberhinaus als ehemaliger Direktor der russisch-amerikanischen fossilen Firma Exxon Neftegas auch lange im Zentrum großer Öl-Deals zwischen beiden Ländern stand. Und natürlich versuchte Präsident Trump, die Russland-Sanktionen aufzuheben, die dem Rosneft-Exxon-Deal im Wege standen, allerdings ohne Erfolg.

Vergessen Sie die übliche Opposition der politischen Blöcke! In dieser Arena gibt es nur eine moralische Währung: Öldollar. Die amerikanische Öl-Plutokratie und die russische Öl-Oligarchie mit Putin an der Spitze verfolgen die gleichen Ziele. Ebenso wie die arabischen Ölscheichs. Und ja, abgesehen davon, dass sie alle die Klimazerrüttung leugnen, teilen die meisten dieser Strippenzieher auch grundlegende Einstellungen wie Elitismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie und Frauenfeindlichkeit. Kein Zweifel, dass sie sich hinter verschlossenen Türen sehr gut verstehen.

Hält diese Analyse auch angesichts der Ukraine-Invasion stand?

Big Oil und der Ukraine-Krieg

Wenige Tage nach Beginn der Belagerung erklärte der Vertreter der Ukraine bei einem virtuellen Treffen der UN-Klimadelegierten: “Die vom Menschen verursachte Klimaveränderung und der Krieg gegen die Ukraine haben dieselben Wurzeln: fossile Brennstoffe und unsere Abhängigkeit von ihnen.” (3)

Bereits am 23. Februar, dem Tag vor dem russischen Einmarsch, forderte das American Petroleum Institute Maßnahmen, die ohnehin seit langem ganz oben auf seiner politischen Wunschliste standen: die Aufhebung der Beschränkungen zur Förderung fossiler Brennstoffe in US-Hoheitsgebieten, die Wiedereröffnung von Offshore-Bohrungen und eine allgemeine Deregulierung. Die Behauptung ist, dass der Sektor der fossilen Brennstoffe eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit sei und eine Schwächung dieses Sektors die USA und ihre Verbündeten “anfällig für die bösartigen Manöver von Wladimir Putin mache.”

Schon wenige Stunden nach Beginn der Invasion verbreitete Big Oil in Pressemitteilungen und sozialen Medien, dass der Schlüssel zur Beendigung der Krise darin bestehe, die öffentlichen Landflächen und Gewässer der USA sofort an die fossilen Konzerne zu übergeben und die Vorschriften schnell zu lockern. (4) Die US-Ölplutokratie war schon immer gegen den Energiehandel zwischen Russland und der EU gewesen, daher z.B. auch die Sanktionen von Präsident Trump gegen die Nordstream-2-Pipeline im Jahr 2019. (5)

Eine Woche später unterstützte der Heritage Fund, der Teil des rechtsextremen Einflussnetzwerks ist (siehe Teil 7), die Forderung, dass die Regierung Biden sofort Land- und Gewässerflächen in US-Hoheitsgebieten für neue Öl- und Gasexplorationen freigeben solle, anstatt “die USA weiterhin als Geisel für Präsident Bidens Vernarrtheit in ‘grüne Energie’ zu halten und mit Maßnahmen fortzufahren, die konventionelle Energie aus der Existenz zu regulieren.”

Indem der Heritage Fund die zunehmende Schwierigkeit vieler Amerikaner, ihre Häuser zu heizen, mit dieser Politik in Verbindung bringt, bedient er sich der alten Taktik, Klimaschutz gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen. (6) Dieser Schachzug greift nun auch außerhalb der USA: Statt für den Klimaschutz gegen fossile Energie zu stimmen, betteln die Wähler nun um fossiles Gas zum Heizen ihrer Häuser. Es rächt sich nun bitter, dass man nicht schon seit der Jahrtausendwende effektiv auf erneuerbare Energien umgestellt hat.

Später im März schloss sich das Competitive Enterprise Institute, eine weitere bedeutende rechtsliberale Denkfabrik, dem fossilen Chor an und forderte, dass “die Naturschutzbürokratie und die Rechtsstreitigkeiten, mit denen heute neue Öl- und Erdgasprojekte blockiert werden”, verschwinden sollten. (7)

In Europa, insbesondere in Großbritannien, waren die Energiepreise für Verbraucher schon lange vor dem Krieg in die Höhe geschnellt, was die Profite der fossilen Industrie nun auf Allzeithochs treibt. (8) Weitere gute Kriegsnachrichten für Big Oil: Die Preise für Emissionszertifikate brachen unmittelbar nach der russischen Invasion ein, was die Kosten für die Emission von Treibhausgasen für die schmutzigsten Unternehmen effektiv senkt. (9) In Großbritannien war die erste Reaktion auf die Ukraine-Invasion – und die Ideen in Deutschland sehen nicht viel anders aus – eine neue “Energiesicherheitsstrategie”, für die erwogen wird, das bisherige Verbot von Bohrungen nach Schiefergas (Fracking) aufzuheben (10) und eine alte Nichtlösung wieder aus dem Schrank zu holen: die Kernkraft (siehe Teil 3).

Aus Angst vor einer Energiekrise geraten die westlichen Länder in Panik und beeilen sich, den Weg der fossilen Brennstoffe noch tiefer in ihrer Wirtschaft zu verankern. Kein Land ist auch nur annähernd in der Lage, die versprochenen Ziele für den “grünen Aufschwung” nach der Corona-Krise zu erreichen. Die UN warnte im Frühjahr 2022, dass mit diesem neuen fossilen Kurs sogar das 2-Grad-Ziel für die globale Erwärmung verfehlt werden wird. (11) Wieder einmal sieht die (kurzfristige) Zukunft für Big Oil ganz rosig aus. Auch wenn Putins Invasion den Mega-Deal zwischen Exxon und Rosneft nun platzen ließ. Alle westlichen Energiefirmen haben sich aus Russland zurückgezogen – das fällt den fossilen Konzernen auch nicht schwer, da die östliche Konkurrenz nun beseitigt ist und die weltweite Energiekrise ihnen Profite wie nie zuvor beschert.

Fazit: Im Laufe von drei Jahrzehnten haben die Globalisierung und der deregulierte Freihandel die Menschheit in immer größere soziale Ungerechtigkeit, Hunger, Naturverseuchung und Klimazusammenbruch gestürzt. Die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg sind eindeutige Hinweise darauf, dass der Abbau der kolonialistischen Globalisierung und ein systemischer Wandel (Dezentralisierung, Degrowth, Lokalisierung) dringend notwendig sind.

Doch anstatt diesen Krieg als unbestreitbaren Weckruf für die Gesellschaft zu sehen, auf umweltfreundlichere Energien und die Isolierung von Häusern umzusteigen, (12) benutzt die westliche Öl-Plutokratie diesen “Schock-Doktrin”-Krieg als ultimativen Hebel, um ihre fossilen Argumente voranzutreiben und ihre Daseinsspanne zu verlängern. (13)

Welche Seite wird gewinnen? Wir müssen klar erkennen, mit wem oder was wir es zu tun haben. Mehr dazu in Teil 6.

Teil 6 und folgende werden demnächst hier auf Pressenza veröffentlicht.

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Die gesamte 10-teilige Reihe:

Der Kampf um die Rückgewinnung unseres Planeten Erde

Teil 1: Die verblüffenden Strategien der fossilen Brennstoffindustrie

Teil 2: Die verblüffenden Strategien der fossilen Brennstoffindustrie (Teil 2)

Teil 3: Die gefährliche Täuschung des “Net Zero bis 2050”

Teil 4: Dirty Oil: Es geht nicht nur um Kohlenstoff, verdammt nochmal!

Teil 5: Die Fossilgiganten, Freihandel und Krieg

Teil 6: Wie das rechtsextreme Netzwerk (nicht nur) die Klimadebatte beherrscht

Teil 7: Das schockierende Ausmaß des rechtsextremen Einflussnetzwerks

Teil 8: Klimakrise, Corona und Verschwörungstheorien

Teil 9: Wie Verschwörungstheorien nur einem Herrn dienen

Teil 10: Der “Great Reset” und Totalitarismus gegen die echte grüne Revolution

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Quellen

Hauptquellen:

Michael E. Mann 2021. The New Climate War: the fight to take back our planet. Scribe, London.
Deutsch: Propagandaschlacht ums Klima. Verlag Solare Zukunft, Erlangen. http://www.solar-buch.de/mann-propagandaschlacht-2021

Naomi Klein 2014. This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate. Penguin Random House UK.
Deutsch: Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2015

Quellenangaben zu Teil 5

1 https://observer.com/2017/11/longtime-murdoch-ally-saudi-prince-dumps-1-5b-worth-of-fox-shares/
2 https://www.theguardian.com/environment/2018/dec/09/us-russia-ally-saudi-arabia-water-down-climate-pledges-un
3 https://www.motherjones.com/politics/2022/03/ukraine-russia-oil-fracking-natural-gas-shock-doctrine-green-energy/?utm_source=Connatix&utm_medium=video&utm_campaign=Playspace-2022-03-04
4 https://www.theguardian.com/commentisfree/2022/mar/04/oil-gas-lobbyists-us-ukraine-drilling
5 https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-50875935
6 https://www.heritage.org/press/heritage-president-unleash-us-energy-production-provide-americans-relief-hold-russia
7 https://cei.org/opeds_articles/will-ukraine-invasion-spark-another-trans-alaska-pipeline-moment/
8 https://www.theguardian.com/business/2022/feb/03/surging-energy-prices-fuel-shells-highest-quarterly-profits-in-eight-years#:~:text=Shell%27s%20profits%20for%202021%20overall,global%20squeeze%20on%20gas%20supplies.
9 https://www.theguardian.com/environment/2022/mar/02/eu-carbon-permit-prices-crash-after-russian-invasion-of-ukraine
10 https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/energy-crisis-uk-ukraine-russia-invasion-b2031988.html
11 https://www.theguardian.com/environment/2022/mar/21/ukraine-war-threatens-global-heating-goals-warns-un-chief
12 https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-bundeswehr-aufruestung-interview-jutta-ditfurth-news-91380249.html
13 https://tsd.naomiklein.org/shock-doctrine.html

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Fred Hageneder ist Autor des Buches „Nur die eine Erde – Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl“.